Vorsicht vor der Sympathie- und Vertrauensfalle!
Gastbeitrag von Dipl.-Psych. Ulrich Bosetti, Aachen
„Vertrauen ist gut… aber bitte vertrauen Sie nicht blind“
Sie haben einen Termin mit einem Vetriebsmitarbeiter Ihrer Bank oder Ihrer Versicherung vereinbart, der sich wohl Berater nennt. Wahrscheinlich wünschen Sie sich bei einem solchen Termin eine echte Beratung dazu, welche der auf dem Markt befindlichen Vorsorge- und Finanzdienstleistungen zu Ihrem Wunsch nach finanzieller Sicherheit und Vermögensaufbau passt.
Interessenkonflikt
Nicht jeder, der sich Berater nennt, ist auch einer. Meist ist er ein Verkäufer.
Eine Hürde stellt nämlich die unterschiedliche Interessenlage von Finanzprodukteverkäufern (FPV) einerseits und Ihnen als Kunde andererseits dar. Der FPV ist an einem möglichst gut provisionierten Abschluss interessiert. Sie als Kunde suchen nach einer finanziell tragfähigen Lösung, die möglichst genau Ihre Interessen und Erwartungen in den Mittelpunkt stellen.
Wussten Sie das?
Mit dem Termin bei einem Finanzprodukteverkäufer haben Sie sich – bewusst oder unbewusst – gegen eine unabhängige Beratung durch einen von Ihnen direkt bezahlten Einkaufshelfer (echten Honorarberater) entschieden.
Denn der FPV verdient nur (Provision), wenn er Ihnen etwas verkauft. Eine echte Beratung, ohne dass Sie am Ende einen Finanzanlage- oder Versicherungsvertrag unterschreiben, bringt dem FPV kein Geld.
Wie sagte doch jüngst der Chef des Privatkundengeschäfts der Deutschen Bank so ehrlich: „Die Hauptaufgabe der Filiale ist der Verkauf.“. Wenn Sie also in die Bankfiliale gehen, wird das kein Beratungs-, sondern ein Verkaufsgespräch werden.
Da sitzen Sie nun also bei einem FPV am Tisch
Und nun gilt es, Ihre Interessen im Verkaufsgespräch trotzdem angemessen im Blick zu behalten und zu verteidigen.
Sie haben sich auf den Termin gut vorbereitet. Insbesondere haben Sie sich:
- genau überlegt, welches Ziel Sie mit dem vor Ihnen liegenden Gespräch und der anschließenden Entscheidung verfolgen und von welchen Kriterien Sie ihre Entscheidung abhängig machen,
- eine Agenda gemacht,
- die für Sie wichtigen Spielregeln notiert, die Sie Ihrem Gesprächspartner zu Beginn mitteilen möchten (z.B. dass in der Situation kein Zeitdruck oder Entscheidungsdruck vom Verkäufer aufgebaut werden darf)
- klargemacht, in welchen Bereichen Sie zu Selbstüberschätzung neigen könnten.
Sie haben also den Boden gut bereitet für ein konstruktives Verkaufsgespräch.
Achtung, Vertrauensfalle!
Doch halt – es gilt noch eine besondere Weichenstellung vorzunehmen, die ganz wesentlich dazu beiträgt, ob Ihre Entscheidung am Ende des Gesprächs genügend rationale Anteile enthält.
Denn gleich zu Beginn des Gesprächs, oder besser: noch vor Beginn des Gesprächs – in der Begrüßungsphase – entscheidet Ihr Gehirn in Bruchteilen von Sekunden, wie es mit dem so enorm wichtigen zwischenmenschlichen Bindemittel „Vertrauen“ umgehen möchte.
Und genau hier lauert eine ganze Reihe von Fallen, die Ihrem Bewusstsein teilweise nicht direkt zugänglich sind.
Vertrauensvolle Beziehungen
Grundsätzlich mag unser Gehirn vertrauensvolle Beziehungen. Permanent auf der Hut zu sein, erfordert jede Menge zusätzliche Energie.
Am liebsten arbeitet unser Gehirn auf „Autopilot“. Dann verbraucht es nur etwa 5% der Körperenergie. Wird das Bewusstsein, also der Verstand eingeschaltet, werden die Vorgänge erheblich komplexer. Und der Energiebedarf des Gehirns steigt auf ca. 20%.
Nachdenken und kritisches Bewusstsein sind „teuer“. Denkarbeit ist eben auch Arbeit.
Auch zwischen Verkäufer und Kunde
Das gilt auch in einer Beziehung zwischen Verkäufer und Kunde. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Verkäufer und Kunde klingt prima. Ist sie für Sie als Kunde aber wirklich von Vorteil?
Wenn nämlich Vertrauen unsere Beziehung prägt, neigen wir dazu, unser kritisches Bewusstsein auszuschalten. Vertrauen bedeutet, dass wir davon ausgehen, dass die andere Person uns nicht schaden will, und wir uns auf die Worte und Taten der anderen Person verlassen können.
Vertrauen ist nicht ohne Risiko
Vertrauen ist eines der wichtigsten Bindemittel in Beziehungen. Aber nicht ohne Risiko.
Denn natürlich wissen Finanzprodukteverkäufer von der besonderen Wirkung von Vertrauen. Und anstatt das Vertrauen sich natürlich entwickeln zu lassen, versuchen sie häufig, die unbewussten Zugangswege zur Vertrauensbildung gezielt zu nutzen, um sich von Anfang an Vorteile in der Verkaufssituation zu verschaffen.
Typische Beispiele zum Einsatz vertrauensbildender Techniken
- Es beginnt mit dem Lächeln. Man zeigt die Zähne, deutet aber gleichzeitig durch die entspannte Muskulatur in der unteren Gesichtshälfte an, dass man nichts Böses im Sinn hat. Gleichzeitig regen die Spiegelneuronen im Gehirn beim Partner eine ähnliche Reaktion an, es entsteht ein Gefühl von Sympathie und Nähe.
- Eine offene Körperhaltung (im Gegensatz zu verschränkten Armen beispielsweise) signalisiert, dass man dem Partner vertraut. Die körpersprachliche Botschaft lautet: „Ich gehe davon aus, dass du meine Offenheit nicht ausnutzt, um mich zu verletzen.“.
- Wohin wir unsere Augen richten, signalisiert, was unser Interesse gewonnen hat. Augenkontakt zeigt dem Partner, dass wir ihn schätzen und er im Mittelpunkt unseres Interesses steht.
- Menschen vertrauen am ehesten Menschen, die so sind wie sie selbst. Wer kann schon Böses im Schilde führen, wenn er uns ähnlich ist? Ähnlichkeit lässt schnell Vertrauen entstehen. Sei es, dass der andere aus derselben Stadt kommt, dasselbe Auto fährt, dasselbe Hobby teilt, den gleichen Geschmack hat, denselben Fußballclub favorisiert usw. Oder sei es, dass der andere dieselbe Körperhaltung, das gleiche Sprechtempo, ähnliche Wortwahl, denselben Tonfall und ähnliche Sprachmuster bevorzugt.
All diese Kommunikationsformen nehmen wir zu großen Teilen unbewusst wahr und neigen dazu, uns dieser Person vertrauensvoller zu öffnen und sind bereit, Bitten und Vorschlägen des Gesprächspartners ohne weitere kritische Prüfung zu entsprechen. Wir glauben, dass die Person das Beste für Beide will.
Doch all diese Kommunikationsformen lassen sich natürlich auch gezielt einsetzen, vorspielen oder mit Absicht spiegeln.
Trotz Vertrauen wachsam bleiben
Bei einem Vertriebsgespräch besteht also die Gefahr, dass wir nicht mehr im notwendigen Umfang kritisch prüfen, inwieweit die Ausführungen und das Angebot des Finanzprodukteverkäufers den eigenen Wünschen und Vorstellungen tatsächlich entsprechen, wenn wir unser Vertrauen vorschnell schenken.
Eine weitere heikle Folge von zu frühem oder umfassenden Vertrauen liegt in folgendem: Sobald Menschen dem Finanzprodukteverkäufer ihr Vertrauen geschenkt haben, sind sie auch allzu leicht und gerne bereit sind, die Verantwortung für die Entscheidung auf den Verkäufer zu übertragen. Sie denken, dass schon alles seine Richtigkeit habe und fragen und prüfen nicht mehr gezielt nach.
Vertrauen entsteht natürlich
Bitte nicht falsch verstehen: ein verlässliches Maß an Vertrauen in die Redlichkeit des Verkäufers ist für beide Seiten von großem Nutzen. Aber nur dann, wenn sich das Vertrauen quasi von selbst einstellt.
Und nicht, wenn es manipulativ hergestellt wird, weil der Verkäufer gelernt hat, die entsprechenden Stellschrauben manipulativer Vertrauensbildung bei uns als Kunden zu drehen.
Und wir dürfen auf keinen Fall vergessen, dass der Finanzprodukteverkäufer im Vertriebsgespräch von einer anderen Interessenslage ausgeht, als wir als Kunde.
Er ist Verkaufshelfer der Bank oder Versicherung und kein Einkaufshelfer des Kunden.
Eine vertrauensvolle Beziehung ist nicht das eigentliche Ziel!
Das bedeutet, dass wir als Kunde dafür sorgen müssen, während der gesamten Verkaufsphase eine verlässliche Balance herzustellen zwischen Vertrauensvorschuss und kritischem rationalen Denken und Nachfragen.
Denn für Sie als Kunde geht es in erster Linie darum, eine wichtige Entscheidung für Ihre finanzielle Zukunft zu treffen, und nicht darum, eine sympathische Beziehung zum Bankmitarbeiter oder Versicherungsvertreter zu entwickeln.
Es ist natürlich angenehm, wenn sich die Beziehung positiv entwickelt, aber das ist nicht das eigentliche Ziel.
Konkrete Tipps für die passende Balance von Vertrauen und kritischem Verstand in Finanzgesprächen:
- Machen Sie sich bewusst, dass Ihr Vertrauen ein sehr wertvolles Gut ist, welches Sie zwar gerne schenken, aber sich nicht durch rhetorische Tricks „abluchsen“ lassen möchten.
- Sagen Sie ganz selbstbewusst „Nein“, wenn das Angebot Ihre Interessen und Ziele nicht umfassend abbildet – auch wenn Sie Ihr Gegenüber dann sicher nicht mehr so „mag“.
- Bereiten Sie den Finanzprodukteverkäufer gleich am Anfang darauf vor, dass Sie in jedem Fall Ihre Entscheidung eine Nacht „überschlafen“ wollen und grundsätzlich nichts aus der Situation heraus spontan unterschreiben werden.
- Schätzen Sie gleich zu Beginn des Kontaktes ein, wie sympathisch Sie den Finanzprodukteverkäufer erleben: von 1 (wenig sympathisch) bis zu 5 (sehr sympathisch). Bei einer Einschätzung von 1 oder 5, sollten Sie Ihr kritisches Bewusstsein ganz besonders aktivieren und an allen wichtigen Stellen gezielt inhaltlich nachfragen.
- Machen Sie sich auf Ihrer Agenda kleine Merker, die Sie daran erinnern, Ihr kritisches Nachfragen zu verstärken, besonders zwischen den einzelnen Phasen im Verkaufsgespräch (Bedarfsermittlung, Angebot und Abschlussphase).
- Seien Sie ein kluger Investor in die eigene Zukunft – Vorsicht vor der Sympathie- und Vertrauensfalle!
Entscheiden Sie vertrauensvoll, aber mit wachen Sinnen beim Kauf von Finanz- und Vorsorgeprodukten. Schließlich ist es Ihr Geld!
Schauen Sie auch das kurze, knackige Video „Gefühle – wenn Sympathie Kritik verhindert“
(beim Klick: Start auf dem Hartmut Walz YouTube-Kanal)
Denn: Vertrauen ist gut, aber vertrauen Sie bitte nicht blind!
Diese und viele weitere Hilfestellungen finden Sie im neuen Buch „Beraten statt Verraten – So wehren Sie Manipulationen in der Finanzberatung souverän ab“.
Einen weiteren Gastbeitrag von Dipl.-Psych. Ulrich Bosetti finden Sie hier: „5 starke Tipps für ein starkes Nein – Drum prüfe, wer sich länger bindet…„.
Erschienen am 01. Juli 2022.
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Lieber Herr Walz, lieber Herr Bosetti,
ich kenne viele erfolgreiche FPV, die durch ihr Auftreten auf Kunden eine magische Anziehungskraft haben und stets jedes Jahr ihre Verkaufsziele erfüllen und sogar übertreffen.
Viele kümmern sich im Schadensfall zum Beispiel auch wirklich sehr um ihre Kunden und werden weiterempfohlen. Nicht selten erhalten diese FPV auch durchweg sehr positive Bewertungen auf Bewertungsportalen und bekommen selbst bei nachweislich schlecht gelaufenen Altersvorsorgeprodukten noch ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Der Kunde geht vielleicht wirklich lieber zum netten Kumpel vom Tennisverein, der in der Ausschließlichkeit arbeitet und fünf Angestellte hat, als zum unbekannten Versicherungsberater.
In dem Zuge kann man sich überspitzt die Frage stellen, ob der Kunde falsch beraten wurde oder überteuerte Produkte bekommen hat, wenn er bis zum Schluss nur Gutes von seinem FPV und den verkauften Produkten denkt?
Man könnte in vielen Fällen schon fast vom Stockholm-Sydrom sprechen.
Lieber Stefan Schaaf, danke für Ihren sehr einfühlsamen Blick auf psychologische Aspekte in der Beziehung zwischen Finanzprodukteverkäufern und ihren Kunden.
Ganz wie Sie kenne ich auch Mittler und Makler, die sich – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – für ihre Kunden einsetzen (gerade bei Schadensregulierungen). Die Tatsache, dass viele Finanzprodukteverkäufer zentrale Sachverhalte wie die Unterscheidung von Nominalzins und Realzins oder den „richtigen“ Nenner eines Garantiezinsversprechens nicht kennen, mag diese moralisch entlasten. Es ändert aber nichts daran, dass durch solche Menschen viele Verbrauchinnen ohne Not der Altersarmut näher rücken.
Mit Ihrer Überlegung zum Stockholm-Syndrom haben Sie mich zum Schmunzeln gebracht. Hier freundet sich ja bei Gewaltverbrechen – meist Geiselnahmen – das Opfer mit dem Täter an bzw. verliebt sich sogar in diesen. Ihr Transfer auf die Opferrolle beim Finanzdienstleistungsvertrieb ist interessant und verdient weitere Forschung. Vielleicht sollte ich mal ein paar Masterarbeiten rund um das Stockholm-Syndrom bei FDL vergeben…
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Vertrauen an sich ist das wertvollste, was ich mir als Mensch in einer Beziehung jedweder Art verdienen kann.
Und wir sprechen im deutschen auch von „Vertrauen schenken“.
Mit diesem Geschenk sehr behutsam umzugehen zeichnet guten Charakter aus.
Daher hängt es oftmals nicht nur vom einzelnen Verkäufer/Berater ab, sondern auch vom System. Die Art der internen Schulung, des Wettbewerbs im Sales Team und vor allem der Entlohnung. Gibt’s da extra incentives für Mehr Verkauf?
Ich weiß nicht, ob Sie den Mehmet Göker kennen. Es gab zwei SEHR sehenswerte Dokus über seine „Arbeit “
Versicherungsvertreter…
Lieber Andreas KG, danke für diesen Kommentar. Ja, es gibt so einige „Verkaufstrainer“ ala „Ein guter Verkäufer ist 1% Improvisation und 99% Provision“…
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Wer wissen möchte wie Finanzverkäufer & Co ticken und mit welch manipulativen Tricks sie in einem Verkaufsgespräch arbeiten, dem sei an dieser Stelle auch das Buch „Die Psychologie des Überzeugens: Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen“ von Robert B. Cialdini empfohlen.
Liebe Petra, wir haben eine schöne Literaturliste im Buch. Und ja, Cialdini ist toll – das Buch aber auch ganz scön teuer…
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Die Vertrauensfalle lauert nicht nur bei sogenannten Finanzberatern, sondern in letzter Zeit immer häufiger auch bei Ärzten! Immer mehr Ärzte versuchen IGEL-Leistungen zu verkaufen, obwohl viele davon höchst umstritten sind.
Da haben Sie völlig recht! Das „Erschleichen“ von Vertrauen spielt in der Tat in vielen Branchen und Bereichen eine unrühmliche Rolle.
Wenn unser Buch dazu beiträgt, auch in anderen Lebensbereichen für den Umgang mit Vertrauen sensibilisiert zu bleiben, freut das uns als Autoren besonders.
Vertrauen gerne, aber wachsam bleiben!
Alles Gute, Ulrich Bosetti