Zehn Regeln für Ihr Geld
Wem nutzen dumme Anlageempfehlungen eigentlich?
Jeden Januar dasselbe: Zum Jahresanfang schreien uns die topaktuellen, brandheißen und todsicheren Anlagetipps für die nächsten 12 Monate entgegen. Die Finanzpornografie-Industrie gibt ihr bestes. Und das ist schlecht.
Mit Grauen und zum Teil deutlichem Brechreiz habe ich für Sie solche Empfehlungen und Ratschläge gelesen. Und seziere für Sie nachstehend exemplarisch mal die „Zehn Regeln für Ihr Geld“. Aus dem Januarheft 2021 einer marktführenden Wirtschafts- und Anlagezeitschrift, die sich mit Kapital-Vermehrung befasst.
Jedoch glaube ich eher daran, dass es ihr um deren eigene Kapital-Vermehrung und nicht die der LeserInnen geht. Finanzpornografie halt.
So viel schon mal vorab
Marketingtechnisch kann ich das nicht einschätzen. Aus fachlicher Sicht jedenfalls fällt die Gesamtbilanz dieses Artikels katastrophal aus.
Die Ratschläge sind bestenfalls wertlos. Schlimmstenfalls schädlich. Da erstens risikoerhöhend und zweitens kostentreibend. Beides ganz schlecht für Ihre Geldanlage und Vorsorge.
Und wenn dann noch eine „Empfehlungsliste“ mit konkreten Produkten hinterhergeschoben wird… Also ich finde, da müsste doch ANZEIGE drüber stehen. Oder?
Doch statt mich über diesen Artikel zu ärgern, habe ich meine Emotionen umgeleitet – und jede Menge absurden Humor darin gefunden.
Wahrscheinlich ist der Artikel ja auch einfach nur in die falsche Zeitschrift gerutscht…?
Schauen wir uns die „Zehn Regeln für Ihr Geld“ also einmal genauer an.
Aber bitte: Nicht nachmachen!
Regel 1 | In den neuen Dax 40 investieren
Kernbotschaft
In Hinblick auf den DAX Umbau im Laufe des Jahres 2021 soll der Anleger deutsche Aktien stärker gewichten, da diese von der Erholung überdurchschnittlich profitieren könnten.
Kurz gesagt
bullish, offensiv, wachstumsorientiert, enge Länderwette
Klartext für Sie
Sowohl der bisherige Dax 30 als auch der neue Dax 40 sind enge Länderindizes. Sie haben hier nur deutsche Aktien drin. Und würden eine sehr enge Länderwette eingehen.
Bitte schauen Sie auf die Weltkarte oder einen Globus – und suchen Sie Deutschland. Dann wissen Sie, was ich meine.
Durch die empfohlene Übergewichtung deutscher Aktien würden Sie jedoch auf eine stärkere Diversifizierung Ihrer Geldanlage verzichten. Sie würden eine Risikoerhöhung eingehen, die nicht durch eine zusätzliche Risikoprämie vergütet wird.
Also eine unsichere Wette eingehen. Nämlich die Outperformance von Deutschland zur großen weiten Welt. Sie würden also zocken.
Natürlich könnten Sie mit deutschen Aktien in 2021 besser abschneiden als mit einem weltweit streuenden Portfolio. Sie könnten auch im Lotto gewinnen oder in Ihrem Vorgarten auf Gold stoßen. Echt lustig – viel Glück!
Für Privatanleger ist Regel 1 kapitaler Unfug. Nur für Zocker eine gute Unterhaltung.
Regel 2 | Auf Zykliker setzen
Kernbotschaft
Irgendwann ist Corona vorbei und dann werden zyklische Aktien outperformen. Der Anleger soll auf stark konjunkturabhängige Aktien setzen. Verräterischer Satz: „Wer jetzt nicht auf Zykliker setzt, der glaubt, dass es keinen wirksamen Impfstoff geben wird“.
Kurz gesagt
bullish, offensiv, spekulativ, sachlich falsch
Klartext für Sie
Es klingt so schön plausibel, zwangsläufig und optimistisch: Irgendwann werden wir wieder kaufen, reisen, ausgehen, feiern… Picken Sie sich genau diese Aktien heraus.
Bestechende Plausibilitätsfalle!
Die behauptete Zwangsläufigkeit, mit der zyklische Werte die Gesamtmarktentwicklung übertreffen, ist schlichtweg Unsinn. Denn es geht keineswegs darum, ob irgendwann ein wirksamer Impfstoff der breiten Masse zur Verfügung steht – und die Leute wieder konsumieren.
Sondern es geht darum, ob die Erholungswirkung in der Wirtschaft schneller und stärker oder langsamer und schwächer sein wird, als von den Finanzmärkten bereits heute angenommen wird und eingepreist ist.
Auch hier soll der Anleger also eine reine Wette eingehen und Zocken.
Für Privatanleger ist Regel 2 kapitaler Bullshit.
Regel 3 | Bewertungen ignorieren
Kernbotschaft
Die Orientierung an Bewertungen für die Preiswürdigkeit von Aktien sei etwas für normale Zeiten. Jedoch sei seit 2020 nichts mehr normal. Also solle der Anleger lieber das Geschäftsmodell der Firmen prüfen, als sich an Bewertungen zu orientieren. Wörtlich: „Für Anleger heißt das, dass sie den Fokus bei der Aktienauswahl stärker auf das Geschäftsmodell als auf das KGV legen sollten.“ Aha.
Kurz gesagt
bullish, offensiv, spekulativ, herrlich vage
Klartext für Sie
Bei den „richtigen“ Aktien würde sich der Kauf zu jedem Preis für den Anleger lohnen. Der Preis sei nachrangig. Man müsse nur mit den „richtigen“ Aktien dabei sein.
Doch: Was sind die „richtigen“ Aktien?
Spätestens an dieser Stelle habe ich Tränen gelacht und wieder an das Satiremagazin gedacht. Wir haben ja den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als anderer Leute Geschäftsmodell zu prüfen, ist klar.
Und die Argumentation, man solle hohe Bewertungen ignorieren, habe ich z.B. kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase ebenfalls vielfach gehört. Auch das waren ja „unnormale Zeiten“! In denen viel versprechende Geschäftsmodelle ohne Rücksicht auf den Preis gekauft werden sollten. Und gekauft wurden.
Lauter Aktien mit einem KGV von unendlich, da ja ein Multiplikator, bei dem im Nenner „Null“ steht, zwangsläufig unendlich groß sein muss. Ja, so etwas gab es mal – unter dem Namen „Neuer Markt“. Und dieser wurde nach dem Platzen der Blase kleinlaut zu Grabe getragen.
Die Älteren erinnern sich mit Schmerzen. Und die Jüngeren sind gut beraten, sich ein wenig über den „Neuen Markt“ zu informieren.
Was zeigt diese Erfahrung?
Natürlich können hoch bewertete Aktien noch weiter steigen. Müssen sie aber nicht. Sie können auch zu einer normalen Bewertung zurückkehren. Was eine Halbierung oder Drittelung des Kurses bewirken kann.
Zentrale Schwachstelle von Regel 3 ist, dass der Leser nicht weiß, wann es sinnvoll wäre, trotz hoher Bewertung zu kaufen und wann nicht.
Das wird der Leser dann wohl nachträglich im Januar 2022 an gleicher Stelle lesen.
Übrigens: Privatanlegern zuzumuten, die Geschäftsmodelle von Hightech-Unternehmen besser zu bewerten, als es der gesamte Finanzmarkt tut, hat schon was von absurdem Humor.
Das hat noch nie funktioniert. Aber nach den Erfahrungen bei Wirecard ist der Rat ganz besonders lustig:
Siehe Dirk Müller – der hat auch alles ganz genau geprüft. Nach eigener Aussage bis in die letzte Fußnote.[1]
Für Privatanleger ist Regel 3 kapitaler Schwachsinn.
Regel 4 | Goldbarren horten
Kernbotschaft
Hier gibt es keine klare Kernbotschaft, sondern eher eine nachträgliche Beschreibung und Interpretation der Goldpreisentwicklung seit Ausbruch von Corona.
Kurz gesagt
Drei Aussagen sind zentral: Erstens: Der ängstliche Anleger „sollte jetzt ein paar Barren horten, denn der Kaufzeitpunkt ist günstig“. Zweitens: Der Anstieg des Goldpreises liege an der Dollarschwäche, weil Gold ja in Dollar gehandelt würde. Drittens: Spekulative Anleger könnten auf den Goldpreis setzen, denn der Dollar werde wohl schwach bleiben.
Klartext für Sie
Die deutschsprachige Leserschaft der Zeitschrift betrachtet als Heimatwährung den Euro und hat z.B. für das fragwürdige Ratgeber-Magazin kapitale 8,90 Euro bezahlt.
Also sollten Anleger hierzulande einfach direkt auf den Goldpreis in Euro schauen, hierzu gibt es jede Menge Informationsmöglichkeiten. Und auch schöne Charts „Goldpreis in Euro“ über beliebige Zeiträume.
Wie ein kurzer Blick in diesen Finanzblogbeitrag zeigt, haben sich die Relationen zwischen Gold, Euro und US-Dollarpreis im letzten Jahr wie folgt entwickelt:
Der Goldpreis in US-Dollar ist in 2020 zwar um +26,4% gestiegen, gleichzeitig ist der US-Dollar zum Euro im gleichen Zeitraum um rund 10% gefallen.
Also bleibt eine Preissteigerung von Gold – in Euro gerechnet – von ca. 14,5%. Damit ist die zweite Aussage, nämlich, dass der hohe Goldpreis an der Dollarschwäche liege, widerlegt. Die roten Kästen zeigen, dass Gold gegenüber allen wichtigen Weltwährungen zugelegt hat.
Die Aussage, dass der Kaufzeitpunkt für Gold „günstig“ sei, ist wohl ein weiterer kapitaler Fehler, denn der Euro-Goldpreis erreichte in 2020 sein historisches Hoch.
Gold ist – wieder konsequent in Euro berechnet – allein in den letzten drei Jahren um rund 40% gestiegen. Und hat lediglich von dem Spitzenwert im Juli 2020 einen kleinen Rücksetzer vollzogen. Ist das nun günstig?
Kritikwürdig ist auch die rein spekulative Behauptung, „der Dollar bleibt wohl schwach“. Wer sagt das und woher kommt diese kühne These?
Es gibt viele – und zwar gar nicht unwahrscheinliche – Szenarien, die zu einem stärkeren, sogar viel stärkeren US-Dollar-Kurs gegenüber dem Euro in 2021 führen könnten.
Das muss schon eine kapitale Kristallkugel sein, die das Autorenteam da benutzt. Meine kleine gibt diese spekulative Prognose nicht her.
Für Privatanleger ist Regel 4 kapitaler Käse.
Regel 5 | Nach Asien schauen
Kernbotschaft
China und auch einige andere asiatische Länder hätten die Corona-Krise besser weggesteckt als der Westen. Dies würde sich in höheren Wachstumsraten in 2021 niederschlagen.
Kurz gesagt
Man suggeriert die Empfehlung, Aktien asiatischer Unternehmen zu kaufen, um den Weltmarkt (genannt wird der MSCI World) und vor allem die Eurozone zu übertreffen.
Klartext für Sie
Hier kann ich es kurz machen, denn die manipulativen Fehler wiederholen sich und wurden oben bereits erläutert.
Erstens handelt es sich bei den Ausgangsthesen um reine Prognosen, die zutreffen können. Oder eben nicht.
Zweitens bedeutet ein höheres Wachstum in Asien nicht unbedingt eine Outperformance asiatischer Aktienmärkte gegenüber dem Weltmarkt. Denn es kommt überhaupt nicht auf die Wachstumsdifferenz selbst an. Sondern einzig darauf, ob die Entwicklung dieser Differenz die Markterwartungen übertrifft oder enttäuscht.
Regel fünf ist also eine platte Regionen-Wette. Wer sie befolgt, erhöht sein Portfolio-Risiko, ohne eine zusätzliche Risikoprämie zu erhalten. Siehe Argumentation bei Regel 1.
Wir sind nun erst bei Regel Nr. 5. Und doch passt hier schon nichts mehr zusammen. Die Autoren schreiben: „Europäische Aktien dürften sich zwar erholen, aber Asien wird wohl auch 2021 mit höherem Wachstum als Europa glänzen.“ Warum raten sie dann in Regel 1 „In den neuen Dax 40 investieren“?
Weiter schreiben sie bei Regel Nr. 5: „Im Vergleich zum MSCI World sind asiatische Aktien unterbewertet.“ Aber ich soll doch als Regel 3 „Bewertungen ignorieren“.
Ein komisches Regelwerk. Oder eher tragikomisch?
Hmm, wer solche „billigen Ratschläge“ verteilt, hat entweder die Finanzmärkte nicht verstanden oder hält seine Leserschaft für LeOs. Beide Möglichkeiten werfen kein gutes Bild auf die Autoren.
Die Regel 5 befolge ich trotzdem – und schaue jetzt täglich einmal nach Asien. Gleich morgens nach dem Aufstehen, denn im Osten geht ja die Sonne auf.[2]
Für Privatanleger ist Regel 5 kapitaler Stuss.
Regel 6 | Cash bunkern
Kernbotschaft
Der Corona-Winter könne noch lang und nervenzehrend werden. Zusätzlich drohten politisch unruhige Wochen. Dies könne sowohl auf Aktienmärkten als auch bei anderen Risikoanlagen wie Hochzinsanleihen zu Kursverlusten führen.
Kurz gesagt
Anleger sollten lieber „ihr Pulver trocken halten“. Eine klar defensive Regel.
Klartext für Sie
Hier offenbart sich das Elend von isolierten Einzelratschlägen. Soll der Leser nun die Liquiditätsquote erhöhen oder senken?
Denn sowohl für die Übergewichtung deutscher Aktien (Regel 1) als auch dem Goldhorten (Regel 4) und dem Blick nach Asien (Regel 5) wird ja wohl Liquidität verbraucht.
Dem konzentrieren Leser fällt zudem der krasse Widerspruch zu Regel 2 auf. Ja was soll ich denn nun? Auf Zykliker setzen und damit überdurchschnittlich vom unvermeidlichen Ende der Corona-Pandemie profitieren?
Oder lieber die Liquiditäts- und Investitionsreserve erhöhen? Wodurch mir zwar die „sicheren“ End of Corona-Gewinne entgehen, jedoch mein Pulver trocken bleibt?
Der Leser weiß es nicht. Aber egal, wie die Dinge auch kommen: Die Autoren können im nächsten Jahresrückblick behaupten, sie hätten es ja gewusst…
Übrigens: Unter „Cash“ verstehen die Redakteure nicht nur Bargeld, sondern auch Einlagen, zum Beispiel auf Tagesgeldkonten (okay) und Anleihen (nicht okay).
Außerdem: Während zu Beginn dieser Regel 6 vor den Hochzinsanleihen gewarnt wird, steht in derselben Regel ein paar Abschnitte später die Empfehlung für Anleihefonds, die renditestärkere Unternehmens oder Schwellenanleihen beimischen. Das sind Hochzinsanleihen!
Informierte BlogleserInnen wissen: Aktuell werden schon Anleihen mit 1,5% als Hochzinsanleihen bezeichnet. Und diese Rendite stellt keinen Zins, sondern eine (für das Ausfallrisiko zu geringe) Risikoprämie dar.
Natürlich soll der Anleihefonds diese Papiere nur in kleinen Mengen beimischen, sagen die Regel-Redakteure. Tja, entsprechend gering wird der Renditebeitrag der Hochzinsanleihen in diesen Fonds denn auch sein.
Der übrigens zu dieser Regel von den Redakteuren auf der Folgeseite konkret empfohlene aktive Anleihefonds DPAM Bonds Universalis Unconstrained weist zudem stolze jährliche Kosten von 0,63% aus.
Diese werden – wenn man Wunder ausschließt – durch die kleine Rendite des Anleihefonds nicht gedeckt werden. Und das finde ich – solange es kostenlose Tages- und Festgeldkonten ohne Strafzins gibt – nun überhaupt nicht lustig.
Für Privatanleger ist Regel 6 kapitaler Quatsch.
Regel 7 | Industriemetalle kaufen
Kernbotschaft
Die Konjunktur werde in 2021 so gut wie sicher wieder anziehen. Die Unternehmen bräuchten bei rasant steigender Nachfrage „Unmengen von Rohstoffen“, die nicht bei jedem Metall vom Markt in ausreichender Menge bereitgestellt werden können.
Kurz gesagt
Anleger sollten sich in Rohstoffe, insbesondere Industriemetalle einkaufen. Da seien aufgrund von Preisschwankungen von 30–60% kurzfristig hohe Gewinne drin.
Klartext für Sie
Liebe BlogleserInnen – da Sie bis hier aufmerksam mitgelesen haben, kann ich mir die Analyse so langsam sparen. Das kriegen sie alleine hin.
Ergänzend möchte ich nur sagen, dass beiden zu dieser Regel 7 genannten Produkten aus der Empfehlungsliste jeweils ein kapitaler Mangel anhaftet.
Beim mit 0,49% laufenden Kosten vergleichsweise günstigen Produkt handelt es sich nicht wie im Text behauptet um einen ETF, sondern um einen ETC.
Was zwar so ähnlich klingt. Aber die Worte Operation und Obduktion klingen ja auch ähnlich. Und bedeuten doch etwas völlig unterschiedliches.
In der gesetzlich geforderten Wesentlichen Anlegerinformation (WAI) des WisdomTree Industrial Metals steht eindeutig: Debt Security. Also Schuldverschreibung. Beim ETC müssen Sie ähnlich wie bei Anlagezertifikaten das Vehikelrisiko im Insolvenzfall des Emittenten fürchten. Während dies beim ETF nicht der Fall ist (Stichwort: Sondervermögen).
Bei der zweiten Produktempfehlung fallen mir die hohen jährlichen Kosten von (Achtung, festhalten!) 2,07% auf. Alleine schon deswegen ist das ein schlechter Rat. Es sei denn, Sie sehen das aus Sicht des Produktanbieters BlackRock.
Für Privatanleger ist Regel 7 kapitaler Mist.
Regel 8 | Wandelanleihen ausprobieren
Kernbotschaft
Wandelanleihen stehen zwischen Aktien und Anleihen (Zwitterstellung). Sie stellen zunächst Anleihen dar, die aber vom Anleger zu einem späteren Zeitpunkt in Aktien umgetauscht werden können. Also eine interessante Anlageform, auch wenn der Markt für diese Produkte recht klein ist (Nische).
Kurz gesagt
Empfehlung zum Kauf von Wandelanleihen als defensives Investment mit begrenztem Risiko
Klartext für Sie
Gut geschulte Anleger schätzen Wandelanleihen schon seit langem. Und prinzipiell ist gegen Wandelanleihen als Nische zwischen Unternehmensanleihen und Aktien nichts einzuwenden.
Verräterisch in den Ausführungen der Regel-Redakteure bei Regel 8: „Allerdings ist die Analyse von Wandelanleihen mathematisch ähnlich kompliziert wie bei Optionen. Das sollten Anleger Profis überlassen, also einem aktiven Fondsmanager.“
Der Leser wird also (wieder einmal) ohne Not in teure Produkte hineinempfohlen. Auf der Empfehlungsliste stehen denn neben einem ETF mit 0,5% jährlichen Kosten auch zwei aktive Fonds mit 1,67% bzw. 1,87% jährlichen Kosten.
Wer hier ganz sicher etwas verdient, steht also schon mal fest.
Im Ergebnis: also kein guter Rat für Privatanleger. Und lustig ist nur, wie elegant man von einer grundsätzlich interessanten Anlageklasse auf ein (zu) teures Anlagevehikel kommt. Sie wollen es doch nicht etwa „mathematisch ähnlich kompliziert wie bei Optionen“ oder?
Für Privatanleger ist Regel 8 kapitaler Blödsinn.
Regel 9 | Offene Immobilienfonds kaufen
Kernbotschaft
Wohnen müssen die Leute immer, also steigen die Hauspreise weiter. Und wer selbst kein Eigenheim besitzt, kann vom Häuserboom durch offene Immobilienfonds profitieren.
Kurz gesagt
Empfehlung zum Kauf von offenen Immobilienfonds bei gleichzeitiger Warnung vor Immobilien-ETFs
Klartext für Sie
Die sehr seichten Ausführungen verstärken die Wahrnehmungsverzerrung vieler Leser, die bei Immobilien sofort an Wohnimmobilien denken. Erst im Schlusssatz werden Gewerbe- Hotelimmobilien genannt.
Einen Hinweis auf die zahlreichen Nachteile und Probleme offener Immobilienfonds (siehe hier, Kapitel D4 „Immobilien als Anlageklasse“) sucht der Leser vergebens. Kein Wort über Mindesthaltedauer, Kündigungsfristen und mögliche Liquiditätsprobleme. Ach ja, und kein Wort über Kosten, natürlich.
Die pauschale Ablehnung preiswerter ETFs auf Immobilienaktien ist fachlich überhaupt nicht nachvollziehbar. Wenn große Immobilienunternehmen über 95% ihrer Erträge aus Vermietung und Bewirtschaftung von Wohnimmobilien erzielen, dann kann ich bei einem preiswerten ETF auf diese Branche nichts Schlechtes erkennen.
Auch wenn ich prinzipiell gegen Branchenwetten bin. Und einen breit streuenden Index bevorzugen würde, der ja schon „automatisch“ auch die Immobilienbranche mit enthält.
Die pauschale Ablehnung preiswerter ETFs auf Immobilienaktien ist also nicht nachvollziehbar. Es sei denn unter dem Gesichtspunkt von Produktplacement und Advertorials.
Denn gar nicht lustig sind die laufenden Kosten der beiden auch sogleich empfohlenen Fondsprodukte, die bei jährlich 1,55% beziehungsweise (Achtung, jetzt fallen Sie wirklich um!) 3,71% liegen.
Übrigens beinhalten diese Kosten dabei z.B. noch nicht Ein- und Ausstiegskosten, also z.B. den Ausgabeaufschlag von bis zu 5% bzw. die Handelsspanne zwischen An- und Verkauf der Fondsanteile. Unter den Tisch fallen zusätzliche Kosten auf Fondsebene, die z.B. bei Erwerb, Veräußerung bzw. Umbau von Immobilien anfallen können. Und auch nicht Bewirtschaftungs- und Unterhaltungskosten für Immobilien und Immobilien-Gesellschaften. Aber das ist eine andere Geschichte…
Auch hier gilt: Wer hier ganz sicher etwas verdient, steht also schon mal fest.
Am Ende wird’s jedoch auch hier wieder lustig, denn zumindest nach Angaben von fondsdiscount.de wurde einer der empfohlenen Fonds bereits im Oktober 2016 auf unbestimmte Zeit für neue Anleger geschlossen.
Im Ergebnis kann ich der Regel 9 überhaupt nicht zustimmen, sondern rate in Übereinstimmung mit der Stiftung Warentest klar von offenen Immobilienfonds ab. Ein eigener Blogbeitrag zu diesem Vehikel ist bereits geplant.
Für Privatanleger ist Regel 9 ein kapitaler Schmarrn.
Aber das Beste kommt zum Schluss
Regel 10 | Auf fallende Bitcoins wetten
Kernbotschaft
Nach lobenden Worten des BlackRock-Chefs Larry Fink sei der Bitcoin „bis knapp unter die 200.000-Dollar-Marke“ gestiegen. Bitcoins hätten jedoch „kaum einen realen Gegenwert, außer man will Drogen im Darknet kaufen.“ Der Kurseinbruch des Bitcoin zwischen 2013 und 2015 von knapp 85% könne sich jederzeit wiederholen. Im Szenario einer wieder erstarkenden Weltwirtschaft würden sich viele Anleger vom Bitcoin abwenden. Liebe LeserInnen, wohlgemerkt, ich fasse das hier alles für Sie nur zusammen!
Kurz gesagt
Empfehlungen zur Spekulation auf fallende Bitcoin-Preise
Klartext für Sie
Hier gibt es nicht viel zu sagen. Die gedruckte Zahl von 200.000 Dollar ist wohl ein Tippfehler. Wahrscheinlich sollten es 20.000 US-Dollar sein.
Mir ging das kapitale Januar-Heft schon vor Weihnachten zu. Der Artikel wurde also Anfang oder Mitte Dezember – also bei einem Bitcoin Kurs von rund 15.000 US-Dollar – geschrieben.
Zwischenzeitlich war der Kurs schon über 40.000 US-Dollar. Und aktuell liegt er unter enormen Schwankungen bei ca. 35.000 US- Dollar.
Entscheiden Sie selbst, was diese Regel Nr. 10 wert ist. Wer dem schlechten Rat gefolgt ist und auf fallende Bitcoins gesetzt hat, dem ist – jedenfalls Stand heute – ein kapitaler Fehler unterlaufen.
Der nachstehende Chart gibt jedenfalls die Kursentwicklung von einem der beiden im Artikel empfohlenen Spekulationsprodukte (21Shares Short Bitcoin ETP, ISIN CH0514065058), mit dem auf einen fallenden Bitcoin gewettet werden soll, wider.
Bitte nicht falsch verstehen. Ich will nicht so tun, als ob ich es besser gewusst hätte. Ich halte eine Prognose des Bitcoin-Kurses für schlichtweg unmöglich. Und auch völlig unnötig. Wenn man zocken möchte, bitteschön. Ansonsten kann und sollte man einfach die Finger von diesem nebulösen und völlig manipulierbaren Asset lassen.
Für Privatanleger ist Regel 10 kapitaler Nonsens.
Mehr Niveau bitte!
Bei allem Sinn für absurden Humor bin ich „not amused“ über die mangelhafte Qualität des zitierten Artikels. Erhebliche Teile der von den Autoren so unbeirrt proklamierten „Zehn Regeln für Ihr Depot“ sind ebenso unnütz für den Normalanleger, wie die abschließende Produkt-Empfehlungstabelle „Das gehört 2021 ins Depot“.
Die zehn Regeln sind überwiegend flach, niveaulos und platt. Sie sind in weiten Teilen in sich widersprüchlich, das heißt mit einander nicht vereinbar. Und sie enthalten (zu) viele fachliche Fehler und Auslassungen.
Die zugehörige Produkt-Empfehlungstabelle enthält ungeeignete und neben ein paar Alibi-ETFs überwiegend eine Vielzahl kostenintensiver, aktiver Finanzprodukte mit fraglichem Nutzen.
Besonders schädlich ist die Suggestion des Satzes „Das gehört 2021 ins Depot“. Für solche Botschaften empfängliche Anleger werden den Empfehlungen folgen und im Gegenzug bestehende Anlagen auflösen, die vielleicht ebenso gut oder sogar besser sind. Hin und her, Taschen leer.
Und genau das ist der üble Doppelpass der Finanzpornografen
Die Zeitschrift bewirkt mit Regeln und Empfehlungen erhöhte Handelsaktivität ihrer Leser und löst Transaktionskosten aus, die für die Branche natürlich Einnahmen sind.
Und die Finanzdienstleistungsbranche bedankt sich im Gegenzug dann mit Anzeigenbuchungen beim Verlag.
Die Rechnung zahlt der Privatanleger. Die 8.90 Euro für das Heft sind dabei noch das billigste.
Schlechter Rat ist teuer und ein kapitaler Wertvernichter!
Ich frage mich, warum ich so etwas lese
Es gibt nur einen Grund: Für Sie!
Damit ich Sie vor solch kapitalem Unfug bewahren kann.
Sie haben es derweil nun ganz einfach: Bitte empfehlen Sie diesen Blogbeitrag weiter. Um noch mehr Menschen vor diesem kapitalen Klamauk zu bewahren.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 15. Januar 2021.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
[1] Danke an Benjamin Reinhardt für den Tipp! 😉
[2] Aber ich befolge ja solche Regeln ohnehin gerne. So denke ich z.B. immer an die Umwelt, wenn ich etwas ausdrucke…
Hallo Herr Dr. Waltz,
nicht schlecht gemeckert – aber wo bleiben die echten, durchdachten Alternativen für Anleger in 2021?
Das hätte dann wohl doch etwas Arbeit gemacht!
Mit besten Grüßen
Hallo Lutz Weber, ich antworte Ihnen, auch wenn Ihr unqualifizierter Rundumschlag hart an der Grenze ist. Und gebe Ihre unangemessene Behauptung einfach zur Prüfung durch die anderen LeserInnen frei. Wenn Sie das reiche Füllhorn meiner Blogbeiträge mit unzähligen Hinweisen und konstruktiven Ratschlägen auch nur oberflächlich durchschauen, dann sollte doch kein Zweifel daran bleiben, dass ich mich keineswegs darauf beschränke Kritik zu üben, sondern sehr wohl Alternativen biete.
Ich wünsche Ihnen gute Besserung.
Mit besten Grüßen, Hartmut Walz – Sei kein LeO!