Robo-Advisor: Die digitale „Revolution“ in der Finanzwelt
Gastbeitrag Navpreet Singh, Biblis
Heutzutage haben wir für fast alles die passende App – sei es Online-Shopping, mobile Banken, Smart-Home-Apps. Oder sogar Apps, die unsere Schlafqualität überwachen. Warum dann nicht auch intelligente Systeme entwickeln, die mithilfe von Algorithmen und automatisierten Prozessen die Geldanlage übernehmen und langfristig verwalten?
So oder so ähnlich könnten die Überlegungen von aufstrebenden Fintechs gewesen sein, als zum Beginn des Jahrzehnts die ersten Robo-Advisors gegründet wurden.
Mittlerweile gibt es deutschlandweit mehr als 30 Robo-Advisors. Auch immer mehr Banken erkennen den Trend und bringen ihre eigenen Robo-Advisors auf dem Markt.
Doch welche Vorteile bringt eine solche digitale Vermögensverwaltung, losgelöst von einem persönlichen Berater? Und welche Gefahren verbergen sich hinter dem Mantel der Digitalisierung?
Wie funktioniert ein Robo-Advisor?
Der Begriff Robo-Advisor setzt sich aus den Begriffen Robo (Roboter) und Advisor (Berater) zusammen. Wie der Name schon sagt, soll der persönliche, menschliche Berater ersetzt werden.
Die zunächst naheliegende Annahme, dass ein Robo-Advisor vollständig ohne eine menschliche Komponente auskommt, ist grundsätzlich falsch. Vielmehr ist ein Robo-Advisor ein digitaler Anlagehelfer.
Statt eines Menschen übernimmt eine App-basierte oder Web-basierte Eingabemaske zunächst die Ermittlung der Risikobereitschaft des Anlegers. Das heißt, anhand verschiedener Fragen, wie z. B. nach dem Alter, Angaben zum vorhandenen Vermögen, Anlagehorizont, Kenntnissen und Erfahrungen über verschiedene Anlageklassen oder der Verlusttoleranz, erstellt die Software ein Risikoprofil.
Daraufhin wird dem Anleger eine Anlagestrategie vorgeschlagen, die der Vermögensverwalter oder die Bank hinter dem Robo-Advisor selbst festlegt. Meistens wird der „risikobehaftete“ Anteil in Aktien-ETFs investiert und der „risikofreie“ Anteil in Staats- oder Unternehmensanleihen-ETFs.
Mithilfe einer hauseigenen App hat der Kunde sein Depot stets im Blick. Alle weiteren Features wie Ein- und Auszahlungen, Rebalancing, Sparpläne oder Entsparpläne können vom Robo-Advisor, aber eben auch von herkömmlichen Vermögensverwaltern umgesetzt werden.
Robo-Advisor: entscheidend ist die Anlagestrategie
Die eigentlich entscheidende Frage ist, welche Anlagestrategie der jeweilige Robo-Advisor umsetzt. Denn die von unterschiedlichen Algorithmen unterbreiteten Empfehlungen hängen ja zwangsläufig von den ihnen zugrunde gelegten Prämissen und Rahmendaten ab.
Passive Robo-Advisors, die nach einem wissenschaftlich fundierten Anlagemodell prognosefrei in den weltweiten Aktien- und Anleihenmarkt mit kostengünstigen ETFs oder traditionellen Indexfonds investieren, sind eine sehr begrüßenswerte Alternative.
Allerdings gibt es auch aktive Robo-Advisors, die Market-Timing betreiben oder versuchen, mit Risikomanagement-Systemen wie Value at Risk (VaR) das Anlagerisiko aktiv zu steuern. Oftmals suggerieren solche Angebote, dass der Anleger hiermit „den Markt schlagen“ oder ein gegenüber passiven Portfolios überlegenes Risiko-Chancen-Verhältnis erzielen könne.
Dass aktive, spekulative Strategien langfristig überwiegend schlechter performen als passive, prognosefreie Strategien, muss den Lesern dieses Finanzblogs nicht mehr gesondert beleuchtet werden. Auch hochgelobte Super-Algorithmen werden nicht den unter anderem vom Nobelpreisträger William F. Sharpe erbrachten wissenschaftlichen Beweis der Unvorteilhaftigkeit aktiven Anlagemanagements widerlegen.
Somit stellt sich die Frage, ob der Anleger wirklich in jedem Fall das von einem Robo-Advisor beworbene Anlagekonzept verstanden hat. Oder aufgrund der werblichen Darstellung von Super-Algorithmen einer unangemessenen Überschätzung des Robos unterliegt. Im letzten Fall wäre ein unabhängiger Honorar-Finanzanlagenberater, der ausschließlich im Interesse des Kunden agiert, die bessere Alternative.
Die wichtigsten Vorteile eines passiven Robo-Advisors für den Anleger
Kosteneffizienz
Die Robo-Advisors sind erfreulicherweise sehr kosteneffizient. Oft liegen die Gebühren (Verwaltungsgebühren und ETF-Kosten) um die 1 Prozent p.a.. Getrieben durch den starken Preiskampf gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Anbietern, die Verwaltungsgebühren von unter 0,5 Prozent p.a. verlangen.
Wissenschaftlich fundiertes Anlagekonzept
Mithilfe von ETFs investieren die Robo-Advisors in ein global gestreutes Weltportfolio. Selbst mithilfe von kostengünstigen Neobrokern[1] wäre es sehr aufwendig, mit 5-10 ETFs ein vergleichbares Weltportfolio nachzubilden und eigenständig ein Rebalancing zu betreiben. Zudem können die Strategien mit bereits 25-50 Euro im Monat bespart werden.
Interessenkonfliktarm
Die Robo-Advisors weisen die Anlagestrategien sowie die Gesamtkosten transparent aus und stellen keine Black-Box wie viele aktive Fonds oder dubiose Struktur-Vertriebe dar, die meistens keine ETFs vermitteln, sondern provisionsgetrieben auf wiederum teure Fonds oder kostenintensive Rentenversicherungen verweisen.
Zeitersparnis
Der Anleger muss sich nicht mehr eigenständig um seine Geldanlage kümmern und kann sich mithilfe des Robo-Advisors langfristig mit geringem zeitlichem Aufwand ein beachtliches Vermögen für die Rentenphase aufbauen.
Welche Gefahren entstehen können
Mangelnde Vorkenntnisse des Anlegers
Neben technischem Know-how sollte der Anleger ein gewisses Grundverständnis über den Kapitalmarkt mitbringen (Werden z.B. die Weltregionen nach Marktkapitalisierung oder Bruttoinlandsprodukt gewichtet? Wird Faktor-Investing betrieben?) Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Geld ungewollt den falschen Robo-Advisors anvertraut wird.
Standardisierte Prozesse
Oft ist der Prozess der Ermittlung der Risikobereitschaft des Anlegers standardisiert. Werden die Fragen nicht richtig beantwortet, kann möglicherweise ein unzutreffendes Risikoprofil entstehen. Ein z.B. unabhängiger Honorar-Finanzanlagenberater kann diesen Prozess begleiten, die oben genannten Fehlerquellen vermeiden und noch individueller auf die gesamte Lebenssituation des Anlegers eingehen.
Fehlende menschliche Komponente
Ähnlich wie Neobroker können auch Robo-Advisors die Anleger in Krisenzeiten dazu verleiten, durch ein paar Klicks die Anteile zu verkaufen. Persönliche Berater können in solchen Situationen einen psychologischen Vorteil haben. Anstatt eine emotionsgetriebene, voreilige Entscheidung zu treffen, kann der Anleger sich die Meinung des Beraters einholen. Allerdings haben auch die Robo-Advisors das Problem der fehlenden, menschlichen Komponente erkannt und bieten zunehmend Ansprechpartner per Live-Chat-Funktionen oder Telefongespräche an.
Verschleierung des Risikos im „risikofreien“ Anteil
Aufgrund der Nullzinsen rentieren Staatsanleihen höchster Bonität im negativen Bereich. Das stellt für herkömmliche Vermögensverwalter, aber auch für Robo-Advisors ein Problem dar, da Anleihen primär als Risikoanker im Portfolio eingesetzt werden. Da einige Robo-Advisors auch bei ihren „risikofreien“ Anlagestrategien eine gute Rendite aufzeigen möchten, wird kurzerhand beispielsweise in Anleihen-ETFs mit schlechterer Bonität investiert oder die Restlaufzeit erhöht. Für den Kunden mag es erfreulich aussehen, allerdings geht die eigentliche Funktion der Anleihen-ETFs als Risikoanker verloren.
Fazit
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass kostengünstige, passive Robo-Advisors durchaus eine Bereicherung für die Finanzwelt sind.
Letztendlich kommt es darauf an, wie der Robo-Advisor zu dem Anlegertyp passt. Ein Do-it-yourself-Anleger wird wahrscheinlich auf die Verwaltungsgebühren verzichten und sich selbst ein Portfolio zusammenbauen. Ein Kunde mit geringem Vorwissen wird dagegen die Expertise eines Beraters aus Fleisch und Blut suchen. Und irgendwo dazwischen positioniert sich der Robo-Advisor-Kunde.
Vergleichsportale können dabei helfen, den passenden Robo-Advisor zu finden, allerdings ist auch hierbei Vorsicht geboten. Ein Performance-Vergleich der z. B. letzten 1-3 Jahren sagt nichts über die langfristige Performance der Anlagestrategie aus. Oftmals wird zudem ein Äpfel-Birnen-Vergleich zwischen aktiven und passiven Robo-Advisors dargestellt.
Letztendlich muss jeder Anleger für sich entscheiden, welchen Investmentansatz er verfolgen möchte. Der Autor dieses Blogbeitrags empfiehlt eindeutig einen passiven Ansatz.
[1] Als Neobroker werden innovative Broker bezeichnet, die einen sehr einfachen und günstigen Handel mit Wertpapieren wie Aktien und ETFs ermöglichen, meist über grafisch ansprechende Trading-Apps.
Erschienen am 04. Februar 2022.
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Sehr geehrter Herr Singh,
vielen Dank für Ihren Artikel.
Ich denke grundsätzlich muss die Klärung der eigenen Erwartungshaltung beim Thema Finanzen, Geldanlage, etc. ganz am Anfang erfolgen und vor allem für einen selbst ausformuliert sein. Meiner Meinung nach hat ansonsten jedes Tool in Form eines Robo-Algorithmus, eines(r) Honorarberaters(in) oder Makler(in) nur einen sehr begrenzten Wirkungsgrad.
Freundliche Grüße
Philipp Hansert
Lieber Herr Hansert,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Falls ich Ihre Frage richtig verstanden habe, gebe ich Ihnen zum Teil Recht. Klar sollte ein Anleger die eigene Erwartungshaltung für einen selbst ausformulieren. Allerdings gehen die Anleger beispielsweise ja zu einem Honorarberater, um eben aufgeklärt zu werden (z. B. Erwartungshaltung bezüglich Rendite/Risiko).
Liebe Grüße
Navpreet Singh