Legal, illegal, scheißegal – der legale Betrug der Lebensversicherungen
Gastbeitrag Axel Kleinlein, Bund der Versicherten BdV
Die Steigerungsform „legal, illegal, scheißegal“ gehört zum Fundus der Sponti-Sprüche aus den 80ern. Die Hamburger Punkband Slime machte 1982 sogar einen Song dieses Titels.
Und in genau dem gleichen Jahr gründete sich ein Verein, der mit Punk nichts am Hut hatte. Aber mit einem anderen Slogan rund um die Legalität auf sich aufmerksam machte: Der Bund der Versicherten.
Der BdV, provozierte mit dem Slogan „Lebensversicherung zur Altersvorsorge ist legaler Betrug“. Und er hat noch immer recht, wenn er das behauptet. Und im Grunde könnte man den Lebensversicherern auch die anderen Steigerungsformen unterstellen…
Natürlich sind Begriffe wie „illegal“ oder „Betrug“ ziemlich harter Tobak, wenn man genau das einer der mächtigsten Finanzbranchen vorwirft. Das durfte der BdV auch recht bald feststellen.
Denn die Versicherungswirtschaft wollte ziemlich schnell das Gerede vom „legalen Betrug“ verbieten. Hat sie aber nicht geschafft. Am Schluss haben die Richter bestätigt, dass die freie Meinungsäußerung das zulässt.
Ich finde, dass die Bezeichnung „legaler Betrug“ nicht nur von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, sondern dass die Grundidee hinter den Altersvorsorgeangeboten der deutschen Lebensversicherung tatsächlich ziemlich viel von Betrug hat – aber eben leider auch legal ist.
Anders als vor vierzig Jahren hat sich der Betrugscharakter sogar verstärkt. Mittlerweile sind es drei unterschiedliche Betrugskomponenten, die ineinandergreifen:
„Der klassische legale Betrug mit der Überschussbeteiligung“
Die klassische Lebensversicherung tut so, als wäre sie ein Sparprodukt. Es hat den Anschein, als würden die Kundinnen und Kunden Geld einzahlen. Das Geld würde ähnlich wie bei einer Bank auf einem Konto angelegt. Und es gäbe jährlich – ähnlich wie Zinsen – eine Überschussbeteiligung, die gutgeschrieben würde.
Stimmt aber nicht.
Denn erst einmal wird das eingezahlte Geld zwischen den Versicherungsvermittlern, dem Versicherungsunternehmen und den Versicherten aufgeteilt. Unterm Strich bleiben von 100 Euro, die die bzw. der Versicherte überwiesen hat, vielleicht noch 75 Euro übrig, die in deren bzw. dessen Namen angelegt werden.
Manchmal erzielen die Kapitalanleger dann sogar Gewinne mit diesem Geld. Und gehen die dann an die Versicherten?
Unter Umständen, vielleicht, wenn Chefmathematikerinnen und -mathematiker und Vorstand des Versicherungsunternehmens es richtig finden, kann dann zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt etwas von diesen Gewinnen den Versicherten womöglich gutgeschrieben werden.
Wann, wie und in welcher Höhe das geschieht, da haben die Versicherungsunternehmen viel Freiheiten. Es gibt keinen Automatismus, auf den Verlass wäre.
Den Versicherten wird also vorgegaukelt, sie würden einen Sparvertrag abschließen, der so ähnlich wie bei einer Bank funktionieren würde. Tatsächlich ist das gar nicht so und die Versicherungsunternehmen haben viel Spielraum, die Kundinnen und Kunden kurz zu halten.
Das kann sich schon wie Betrug anfühlen.
Seit etwa 150 Jahren ist das so und die Gesetze erlauben das auch. Deshalb ist das ja auch legal. Zusammen ist das also „legaler Betrug“ – und den gibt es dementsprechend schon sehr, sehr lange. Also auch schon 1982, damals, als der BdV gegründet wurde.
„Der legale Betrug mit der Lebenserwartung“
Vor etwa 25 Jahren haben schon viele Verbraucherinnen und Verbraucher und auch manche Politikerinnen und Politiker begriffen, dass das mit der klassischen Kapitallebensversicherung ziemliche Abzocke ist.
Deshalb hat die Versicherungslobby dann einen neuen legalen Betrug entwickelt. Dabei geht es um private Rentenverträge, Riester-Renten, Rürup-Renten und viele Renten aus der betrieblichen Altersvorsorge.
Um an das Geld der Kundschaft zu kommen, kalkulieren die Aktuare, die Versicherungsmathematikerinnen und -mathematiker, bei diesen Renten mit einer besonders hohen Lebenserwartung. Ist die nämlich besonders hoch angesetzt, dann muss das zu Rentenbeginn angesparte Geld auf einen längeren Zeitraum verteilt werden und die Renten fallen deutlich geringer aus.
Bei Tod werden dann auf einmal die rechnerisch ausstehenden Renten als sogenannte Risikogewinne frei und an denen dürfen sich die Versicherer teilweise bedienen. Je höher die Lebenserwartung, mit denen die Versicherer kalkulieren, desto höher werden die Risikogewinne und desto schlechter die Renten. Und die Versicherer können die Lebenserwartung dabei ausreizen, soweit sie wollen, da gibt es keine Grenzen.
Das klingt wie Betrug, fühlt sich an wie Betrug, ist es aber nicht, weil nach Gesetz und Ansicht der Aufsichtsbehörde legal.
„Der Betrug mit den nicht gesicherten Garantien“
Immer wieder tun Versicherungsvermittler*innen so, als ob die Garantien in den Versicherungsprodukten wirklich sicher seien. Sind sie aber nicht.
Denn die werden flächendeckend nur noch dadurch gehalten, dass die Überschüsse (also gewissermaßen die „Verzinsung“) dafür verwendet wird, die Garantien abzusichern. Es sind so etwa 100 Milliarden an Überschüssen, die über diesen Weg derzeit den Versicherten vorenthalten werden.
Das ist so, als würde einem eine Bank beim Sparbuch sagen, man bekäme zwar Zinsen. Die müssten aber sofort wieder abgezogen werden, weil man ja ein Sparbuch hat, bei dem das Geld nicht weniger werden darf.
Klingt bescheuert! Das ist es auch. Und auch das fühlt sich wie Betrug an.
Zusammengefasst
Ein unfaires Überschusssystem, Kalkulation mit viel zu hohen Lebenserwartungen und Fehlkalkulation bei den Garantien zulasten der Versicherten – alles legal!
Das alles fühlt sich aber wie Betrug an, also illegal.
Und das zeigt nur eines: Den Versicherern sind die Kundinnen und Kunden einfach scheißegal.
Zum Schluss
Eigentlich mag ich keinen Punk. Aber wenn Slime „legal, illegal, scheißegal“ spielen, dann ist das eine Ode an die Lebensversicherung. Da kann man dann auch mal mit grauen Haaren Pogo tanzen.
Erschienen am 03. September 2021.
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Lieber Herr Walz,
ein erstklassiger Beitrag. Mir tut es besonders leid wenn Menschen so um Ihre Lebensleistung betrogen werden. Sie freuen sich über die Auszahlung Ihrer Police nach 40 Jahren, auch dann wenn selbige nur eine schwarze Null erreicht hat. Hier sollte jeder die höchsten Ansprüche haben, einen zweiten Versuch gibt es nicht. Genau das macht Ihre Arbeit so wertvoll und ich danke Ihnen dafür.
Danke, lieber Mike Beyer! Jedoch geht Ihr Kompliment nicht an mich, sondern an Herrn Axel Kleinlein, den Sprecher des Vorstandes des Bundes der Versicherten 😉
Inhaltlich stimme ich Ihnen voll zu – Millionen von Bürgern werden um wesentliche Teile ihrer Lebensleistung betrogen und ein wachsender Teil der Altersarmut ist – völlig unnötig – selbst gemacht.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Welche Versicherung bietet bitte nach 40 Jahren nur eine schwarze Null? Es gibt doch genügend Analyse der Ablaufleistungen von Versicherungen nach 12, 20 und 30 Jahren und eine Nullrendite findet sich dabei nicht annähernd! Da sind eher noch sogar bei den 20-jährigen Laufzeiten deutlich über 3% Beitragsrendite im Durchschnitt der Anbieter drin gewesen (Link aus 2018, neuere Zahlen nicht auf Anhieb gefunden):
***Link vom Blogbetreiber entfernt***
Ich nutze übrigens selbst klassische Rentenversicherungen zur Anlage der Mittel auch über 5-10 Jahre, und selbst über diese kurzen Zeiträume ist man deutlich über der Nullrendite.
Herr Dr. Billmeyer,
Sie kennen schon den Spruch „Wes‘ Brot ich es…“.
Deswegen verstehen Sie sicherlich, dass keiner der hier mitlesenden Ihnen Glauben schenken wird.
Professor Walz (dessen Blog ich sehr schätze) hat Ihre geposteten Links bereits mehrfach entfernt, weswegen ich davon ausgehe, dass Sie sowieso nur auf von der Versicherungsbranche (Ihrer Branche) in Auftrag gegebene Gutachten/Statistiken verweisen. Dazu passt ein anderer Spruch: „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“
Vielleicht habe ich aber auch Ihre Ironie nicht wahrgenommen. Denn indirekt ernsthaft zu behaupten, es wäre sinnvoll, mittelfristige Anlagen (5-10 Jahre) über klassische Rentenversicherungsprodukte abzuwickeln, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Bei Ihrem Gehalt sind Sie wahrscheinlich auch nicht auf irgendeine gute Rendite angewiesen. Und von „deutlich über der Nulllinie“ lässt sich wahrscheinlich nur sprechen, wenn man die Produkte im eigenen Haus abschließt und die gezahlte Provision und Verwaltungsgebühr virtuell wieder hinzurechnet.
Vielleicht sollte ich Ihnen auch gar nicht antworten, wie es Professor Walz hält, denn im Internet Diagramm man ja auch „Don‘t feed the troll!“
Herr Professor Walz,
Sie helfen intensiv bei der finanziellen Aufklärung der Bevölkerung mit, was ich ganz hervorragend finde.
Ich vermute mittlerweile, die gesamte Finanzindustrie (Banken, Versicherungen, etc.) haben überhaupt kein Interesse an der Einführung eines Fachs „Wirtschaft“ in der Schule und opponieren im Hintergrund heftig dagegen, weil Kinder, die praktisch im späteren Leben umsetzbare Dinge in der Schule lernen nicht mehr so leicht über den Tisch gezogen werden können, sie also damit wahrlich keine LEO‘s werden.
Das wird Dr. Billmeyer und Konsorten nicht gefallen, nichtsdestotrotz sollten wir alle daran arbeiten, unsere Kinder zu im Finanzfragen mündigen Erwachsenen zu bilden, wenn es schon die Schule nicht kann (oder nicht darf!).
Machen Sie bitte weiter so!
Herzliche Grüße,
Thomas Welter
Ein Zitat das dem deutschen Schauspieler, Kabarettist und Autor Oliver Hassencamp zugeschrieben wird lautet:
„Versicherungsbetrug ist keine Einbahnstraße. Viel häufiger fühlt sich der Versicherte betrogen.“
Freundliche Grüße
Philipp Hansert
Fairer Weise muss man zum zweiten Punkt, der zu hohen Lebenserwartung, sagen, dass man das Problem auch hat, wenn man privat fürs alter vorsorgt. Auch bei der privaten Altersvorsorge mit z.B. ETF stehe ich bei Renteneintritt vor der Frage, wie lange mein Geld denn halten soll und das hat direkt Auswirkungen auf die Rentenhöhe.
Als privater sparer ist natürlich das Risiko etwas anders verlagert. Wenn ich da zu kurz plane, dann muss ich ggf. mit 92 Jahren plötzlich Pfandflaschen sammeln oder mich bei Aldi an die Kasse setzen, um meine Ausgaben zu decken, da mein Depot leer ist. Wenn ich jedoch schon mit 70 sterbe, dann freuen sich meine Erben über das unverbrauchte Depot.
Die Versicherung hat es hier natürlich durch die Menge an Policen einfacher mit durchschnitten zu rechnen und das übrige Guthaben von dem 70 jährigen zur Deckung des längeren Leben des 92 jährigen zu nutzen. Sie müssten also nicht so konservativ rechnen wie eine Privatperson, die eben nur einen Lebenspfad hat.
Ansonsten muss man sich eigentlich nicht wundern, dass man bei Produkten, die man kauft, den Verkäufer mit bezahlt. Und das kann bei so einem Einzahl/Auszahl Geschäft halt nur durch Minderung der Auszahlung geschehen. (Damit will ich nicht die Versicherer in Schutz nehmen, sondern prangere die mangelnde Finanzbildung der Deutschen an)
Lieber Timo, Ihr Kommentar erscheint mir doch etwas „weichgespült“ 😉
Natürlich wissen die meisten Menschen, dass sie bei allem was sie kaufen, die Vertriebskosten bezahlen und das ist ja auch völlig in Ordnung. Und es geht ja auch nicht primär um die Vertriebskosten – diese stellen in der Gesamtbetrachtung den kleinsten Teil der Kosten von versicherungsgebundenen Altersvorsorgeprodukten dar. Aber wenn die Kosten letztlich bei einem langfristigen Vorsorgeprodukt trotzdem noch zu einem realen Kapitalverlust führen, dann ist das weder in Ordnung, noch mit mehr Finanzbildung zu reparieren. Sondern nur durch bessere, fairere und kostengünstigere Produkte. Und wenn die Versicherer die Chance zu massiven Reformen versäumen und so weitermachen wie bisher, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn es bessere Probelemlösungen an ihnen vorbei geben wird. Finde ich 😉
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Eine recht „interessante“ Behauptung, dass nun plötzlich die Vertriebskosten „nur einen Bruchteil“ der Kosten ausmachen sollten?
Die Realität 2020 zeigt, dass die Abschlusskostenquote im Marktmittel 4,4 Prozent der Beitragssumme des Neugeschäfts betragen hat, die der Verwaltungskosten 2,1 Prozent der Beiträge 2020 von rund 100 Mrd. EUR oder 0,18% des verwalteten Kapitals im Jahresmittel.
Gerade der letzte Prozentsatz liegt eher auf Höhe der Verwaltungskosten eines ETF. Man kann also im Gesamtmarkt sicher nicht von überzogenen Verwaltungskosten sprechen…
Vertriebskosten sind übrigens auch Gegenleistungen für eine Beratung, für die immer weiter gehende gesetzlichen Vorschriften einzuhalten sind. Im Übrigen: Fragen Sie beim Autokauf auch so genau nach, welcher Anteil des Kaufpreises für den Händler und den Showroom anfallen?
Lieber Timo,
wenn die Versicherer mit 92 als durchschnittlicher Lebenserwartung rechnen würden, dann wäre das etwas anderes. Tatsächlich rechnen sie aber mit deutlich höheren Lebenserwartungen – oft weit über die 100, 110 oder auch über 120. Das führt dann zu so niedrigen Renten, dass man dann trotzdem mit 92 Pfandflaschen sammeln muss (um in Ihrem Bild zu bleiben). Denn was nützt es, wenn man zwar mit Mühen zum Beispiel 10.000 Euro angespart hat, dann aber nur eine Taschengeld von vielleicht gerade mal 18 Euro garantiert bekommt?
Die genannten Zahlen sind zunächst ohne Fundierung einfach so in den Raum geworfen, die Realität sieht dagegen so aus:
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Man sieht, dass die meisten Anbieter im Band zwischen 95 Jahren und knapp über 100 Jahren liegen. Das darf man auch nicht mit momentaner Lebenserwartung ab Geburt vergleichen, denn selbst in der gesetzlichen Rentenversicherung (ohne Kapitalwahlrecht) liegt die fernere Lebenserwartung ab Rentenbeginn schon bei über 20 Jahren! Das heißt, ist man erstmal 67, liegt das erwartete Lebensalter natürlich höher als in der Gesamtheit, in der manche z.B. schon zwischen 18-25 einem Verkehrsunfall zum Opfer fielen und den Schnitt nach unten zogen.
Im Übrigen sind das GARANTIERTE Rentenfaktoren, das heißt dazu kommen dann noch Überschüsse in nicht unbedeutender Höhe und selbst falls ein Lebensversicherer tatsächlich am Ende Gewinne aus geringerer Langlebigkeit machen sollte, fließen davon mind. 90% an das Kollektiv der Kunden zurück. Hinzu kommt, dass der Trend hin zu noch längerer Lebenserwartung weiter geht…
Fazit
Eine Lebensversicherung kann natürlich nicht mit der aktuellen Lebenserwartung des stat. Bundesamts aus der Jahres-Sterbetafel kalkulieren, das könnte übrigens nicht einmal die gesetzlichen Rentenversicherung!
Wer noch mehr Hintergrundwissen braucht, hier eine Zusammenfassung:
***Link vom Blogbetreiber entfernt***
Hallo zusammen,
danke für den Beitrag. Wie sieht es denn mit den System Lebensversicherung in der Schweiz aus? Ähnelt es diesem Thema oder sieht es dort anders aus (Stichwort Steuer usw.)?
Danke!
Lieber Bernd Schneider,
herzlichen Dank für Ihre interessante Frage, die ich leider wegen mangelnder Kompetenz nicht beantworten kann.
Es wäre klasse, wenn sich aus unserer riesigen Lesergemeinde jemand meldet und Ihre Frage beantwortet. Mal sehen 😉
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Einfach ein grandioser Beitrag! Vielen herzlichen Dank für die Aufklärung!