An der Börse wird nicht geklingelt:
Unsere besten und unsere schlechtesten Tage, Market Timing – Teil 2
Im Teil 1 des Blogbeitrags vom vergangenen Freitag zeigte sich: In der Theorie ist Market Timing ein Traum in der Praxis aber ein „Verliererspiel“. Statistisch sprechen allein sowohl die Transaktionskosten des aktiven Handelns als auch die Opportunitätskosten der verpassten Marktchancen gegen einen Erfolg von Market Timing.
Das bedeutet, dass zwar in Einzelfällen Market Timing als Spekulationsform Erfolg bringen kann. Dieser jedoch ausschließlich dem Zufall (oder bestenfalls Insiderwissen) geschuldet ist.
In der Summe bzw. im langfristigen Durchschnitt aller Marktteilnehmer führt Market Timing zu Renditen, die deutlich unterhalb der Marktrendite liegen. Passivität schlägt Aktivität.
Die zentrale Erkenntnis lautete:
Oder kurz und gut zu merken:
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Zwar ist es schwierig bis unmöglich, einen überzeugten Spekulanten mit Wahrheiten oder statistischen Fakten umzustimmen.
Jedoch sind die nachfolgenden Daten so spannend, drastisch und anschaulich, dass ich hoffe, mindestens 99% der geschätzten BlogleserInnen zu überzeugen 😉
Häufig liest man Untersuchungen darüber, wie sich der Anlageerfolg von langfristigen Aktieninvestments verschlechtert, wenn Investoren aufgrund von Market Timing auch nur ein paar wenige, besonders gute Börsentage verpassen.
Da sie gerade aus Angst vor Verlusten ihr Geld „trocken halten“. Also an der Außenlinie stehen, anstatt mitzuspielen.
Die Berichte sind etwas widersprüchlich und vor allem unvollständig. Denn sie beziehen sich nur auf den Verlust durch das Verpassen der besten Börsentage.
Noch nie habe ich die Gegenbetrachtung gelesen. Nämlich den Erfolg des „Sich-Ersparens“ der schlechtesten Börsentage.
Mein kluger Freund Stefan – ich nenne ihn respektvoll Stefan EXCELKÖNIG – hat beide Fragestellungen für Sie nachgerechnet.
Unsere besten und unsere schlechtesten Tage
In der nachstehenden Tabelle sehen Sie anhand der öffentlich zugänglichen Originaldaten der Deutschen Börse AG, welche Mehr- oder Minderrendite Market Timer erzielt hätten, die beim Investieren in den Deutschen Aktienindex (DAX) aufgrund ihrer „Rein-und-Raus-Strategie“ besonders gute oder besonders schlechte Börsentage nicht miterlebten.
Weil sie an diesen Tagen gerade nicht im Markt investiert, also gerade nicht an der Börse dabei waren. Da sie just an diesen Tagen ihr Geld ins Trockene gebracht hatten.
Die Analyse beginnt mit dem Januar 1988[1] und endet mit dem 31. Dezember 2020.
Wir schauen also auf einen Zeitraum von 33 Jahren.
Referenz der Betrachtung (Geübte sagen „Benchmark“) ist ein passiver Langfristanleger (buy and hold), der über den gesamten Zeitraum durchgängig investiert bleibt.
Da wir die Daten des im Vergleich zum Kurs-DAX viel bekannteren Performance-DAX verwenden, steht hinter den Zahlen die Annahme, dass ausgeschüttete Dividenden sogleich wieder in Aktien des zahlenden Unternehmens reinvestiert werden.[2]
Und so sieht das Ergebnis in „harten“ Zahlen aus:
Die Verschlechterung der (dynamisch berechneten) jährlichen Anlagerendite durch das Verpassen der 10, 20 oder 30 besten Tage ist unübersehbar. Und leuchtet sofort ein.
Ist der Anleger in den 33 Jahren auch nur an den 10 besten Börsentagen nicht dabei, verschlechtert sich seine jährliche Rendite von 8,45% auf 5,70%.
Wenn man nun noch sieht, was das in absoluten Euro-Werten ausmacht, dann tränt so manchem Hobby-Spekulanten das Auge. Dann sind es statt der 14.534 Euro nur noch weniger als die Hälfte, nämlich 6.222 Euro.
Er (oder sie) weiß nun, warum sein (oder ihr) Depot so schlecht „performt“ hat.
Damit wir uns nicht missverstehen
Aus Gesprächen mit Studierenden weiß ich, dass man die obige Tabelle leicht falsch interpretieren kann.
Daher hier die Erläuterung am Beispiel der verpassten 10 besten Tage.
Falsches Verständnis: Gemeint sind nicht die 10 Tage, an denen der DAX in den letzten 33 Jahren den höchsten Punktestand hatte.
Richtiges Verständnis: Gemeint sind die 10 Tage, an denen der DAX – völlig unabhängig vom Ausgangsstand – die prozentual höchsten Kurssprünge machte.
Und die jemand, der – aus Gründen des Market Timing – gerade an der Seitenlinie stand, verpasst hat. Und danach teurer nachkaufen musste, um wieder dabei zu sein.
33 Jahre – das sind weit über 6.000 Börsentage. Man könnte meinen, da sind doch 10, 20 oder 30 verpasste Tage nicht viel.
Und doch weist die historische Analyse solche Verluste des „An- der-Seitenlinie-Stehens“ gnadenlos aus!
Das hier sind übrigens die Top Ten der besten Tage für den DAX in diesen 33 Jahren:
Gleich auf Platz drei, mit einem Tagesplus von 10,98% steht der 24. März 2020. Sie sehen die Unberechenbarkeit der Märkte. Nur 12 !!! Tage zuvor, nämlich am 12. März 2020 war der DAX um 12,24% eingebrochen.
Wer traut sich, so etwas zuverlässig zu „timen“? Bitte unbedingt bei mir melden!
Nun zum bisher völlig vernachlässigten Gegenaspekt
Mein kluger Freund Stefan meinte jedoch anhand der obigen Zahlen, dass ich für eine faire Analyse unbedingt auch zeigen müsste, was ein erfolgreicher Market Timer (also einer mit XXL-Glaskugel) an Mehrwert hätte generieren können, wenn…
…ja wenn er jeweils am Tag vor den 10, 20 oder 30 schlimmsten Börsentagen ausgestiegen wäre. Und durch den jeweiligen Verkauf am Vortrag des Kursrutsches die entsprechenden Verluste vermieden hätte.
Voilà – hier sind die Zahlen:
Die Verbesserung der (dynamisch berechneten) jährlichen Anlagerendite durch das Vermeiden der 10, 20 oder 30 schlechtesten Tage ist auch hier gut zu erkennen.
Ist der Anleger in den 33 Jahren auch nur an den 10 schlechtesten Börsentagen nicht dabei, verbessert sich seine jährliche Rendite von 8,45% auf 11,49%.
In absoluten Euro-Werten bedeutet das eine beeindruckende Verbesserung von 14.534 Euro auf 36.212 Euro!
Und – Sie können es sicher kaum erwarten – auch hier die Top Ten der schwärzesten Tage in 33 Jahren DAX – die der aktive Anleger unbedingt hätte vermeiden müssen 😉
Vordergründig könnte man nun also argumentieren, dass dem Verlust durch Market Timing die Chance auf einen ungleich höheren Gewinn durch Market Timing entspräche.
Zwar nicht in Prozent – jedoch in absoluten Beträgen in Euro. Beim Verpassen der 30 besten Börsentage hat der Anleger lediglich einen Verlust in Höhe von 12.615 Euro erlitten. Jedoch hätte er beim Vermeiden der 30 schlimmsten Börsentage einen Mehrgewinn in Höhe 105833 Euro (in Worten: von über einhundertfünftausend Euro mehr!) einstreichen können.
Erneut ein herzlicher Gruß von der Plausibilitätsfalle – was plausibel aussieht, ist eben leider noch lange nicht wahr. Lesen Sie Kapitel 39 „Plausibilitätsfalle“ in meinem Buch „Einfach genial entscheiden – Die 55 wichtigsten Erkenntnisse für Ihren Erfolg“.
Denn die Zahlen sagen nichts über die Eintrittswahrscheinlichkeiten. Und zeigen gnadenlos das Versagen der aktiven Fondsmanager auf, die durch rechtzeitige Reduktion der Aktienquote und Flüchten auf die Seitenlinie, die Verluste ihrer Kunden hätten vermindern können.
Market Timing funktioniert nicht!
Und das ist doch der Punkt
Wenn also aktive Fonds im längerfristigen Vergleich – alles ab 10 Jahre ist für mich schon akzeptabel – mit der Entwicklung einer fairen Benchmark (also dem vergleichbaren Gesamtmarkt) hinter der Marktentwicklung zurückbleiben, obwohl sie durch Vermeidung von ein paar schlechten Börsentagen doch enormen Mehrwert hätten generieren können, dann zeigt das doch nur, dass Market Timing nicht gelingt.
Selbst den „Profis“ nicht!
Und was bedeutet das nun konkret für Sie?
- Auch wenn es uns sehr schwer fällt, sollten wir endlich akzeptieren, dass erfolgreiches Market Timing reine Glückssache ist und nur zufällig und nicht verlässlich gelingen kann.
- Die Schlussfolgerung ist, dass wir grundsätzlich dauerhaft in den Aktienmärkten engagiert sein sollten. Denn das Risiko, nicht investiert zu sein, ist langfristig eindeutig größer als das Risiko, investiert zu sein.
- Ernüchternd ist die Erkenntnis, dass ein scheinbar risikosenkendes Vorgehen den Anleger schädigt, anstatt ihm zu nutzen. Steigt er nämlich risikomotiviert aus, verpasst er anschließend meist die (wenn auch nur wenigen) Tage mit hohen Kursgewinnen.
- Gemäß der Statistik folgen die besten Börsentage eines Marktes, also Tage mit außergewöhnlich starken Kursanstiegen, oftmals sehr kurzfristig auf Börsentage mit hohen Kursverlusten. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Spieler an der Seitenlinie gerade diese Tage verpassen.
- Das Leistungsversprechen aktiver Fondsmanager, durch rechtzeitige Verkäufe Anlegerverluste im Vergleich zum relevanten Marktsegment (Index, Benchmark) zu reduzieren, funktioniert – wenn überhaupt – nur zufällig, jedoch nicht systematisch.
- Denn genau wie Privatanleger verpassen auch Fondsmanager häufig die besten Börsentage und steigen zu spät (und damit zu teuer) wieder in die Aktienmärkte ein.
- Kurzum: Legen Sie die für Ihre persönlichen Verhältnisse passende Aktienquote unter Berücksichtigung Ihrer Lebenssituation, Ihrer Risikoneigung und -tragfähigkeit und Ihres Anlagehorizontes fest. Die momentane Marktsituation sollte hierbei keine Rolle spielen.
- Überprüfen Sie Veränderungen Ihrer persönlichen Verhältnisse und Risikoeinstellung – völlig unabhängig von konkreten Börsenphasen. Passen Sie Ihre Quote risikointensiver Anlagen diesen Veränderungen an – wiederum völlig unabhängig von konkreten Börsenphasen.
- Führen Sie regelmäßig – empfehlenswert ist einmal jährlich – ein grobes Rebalancing[3] Ihres Portfolios durch. Es kommt nicht auf den letzten Prozentpunkt an. Sondern nur darauf, dass Sie die schleichende Veränderung Ihrer Portfoliostruktur (Fachausdruck: Style Drift) nicht übersehen.
- Widerstehen Sie allen Versuchungen des Market Timing. Auch wenn die Sirenen der Finanzpornografie Ihnen ständig das Gegenteil suggerieren. Machen Sie es wie Odysseus bei den Sirenen! Sie wissen schon: festbinden lassen und Wachs in die Ohren. Heute nennt man das regelgebundenes Investieren.
Und ganz wichtig: Helfen Sie lieben Mitmenschen, ebenfalls kein LeO zu sein und leiten Sie diese Informationen weiter.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 05. Februar 2021.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
[1] Ab hier stehen Originaldaten der Deutschen Börse AG zum DAX zur Verfügung, während weiter zurückliegende Daten nur durch Umrechnung rekonstruiert werden können.
[2] Dabei werden weder Kapitalertragsteuern noch Transaktionskosten berücksichtigt.
[3] Zum Rebalancing siehe die Ausführungen im ersten Teil des Blogbeitrags.
Lieber Herr Prof. Walz,
nochmal eine Frage, die nach einer Diskussion mit meinen Söhnen, die meine LeO „Austreibung“ genau miterlebten und mir durch erstellen von Exel Tabellen sehr geholfen haben, entstanden ist.
In hier diesem Blogbeitrag wird ja eigentlich das Cost-Average Prinzip (aus Ihrem Buch: Einfach genial entscheiden in Geld und Finanzfragen, 2. Auflage 2018, Kapitel 9) teilweise revidiert. Wenn man sowieso monatlich nur einen bestimmten Betrag anlegen kann, wirkt das Prinzip zwar gut, falls man aber einen größeren Betrag aus Gründen von Cost-Average auf mehrere Monate verteilt investieren will, widerspricht das wiederum dem Prinzip „Time in the market beats timing the market“. Liege ich da richtig?
Hintergrund: Nachdem ich im Januar 2020 einen größeren Betrag in ETF’s investierte, habe ich mich im Nachhinein darüber geärgert, diese Anlage nicht laut Cost-Average über einige Monate verteilt zu haben; wäre zu dem Zeitpunkt natürlich besser gewesen. Dann habe ich meinen Jungs das Prinzip erklärt und ihnen empfohlen, zukünftig nach Cost-Average zu investieren; was sie dann gestern durch diesen Blogbeitrag in Frage stellten.
Ich glaube es ist eine interessante Begebenheit, auch für andere Leser.
Viele Grüße
Jens Martienssen
Lieber Jens Martienssen, ich freue mich gerade sehr über diesen tollen Kommentar. Klasse Jungs! 😉
Es ist nicht so widersprüchlich, wie es jetzt vielleicht wirkt. Ich nehme das zum Anlass, in den nächsten vier Wochen einen eigenen Blogbeitrag dazu zu schreiben!
Bis dahin schön investiert bleiben 😉
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!