Vorsicht Abzocke im Nachhaltigkeitsmantel
Gastbeitrag von Dr. Michael Ritzau, Inzlingen
Beim Thema Nachhaltigkeit kommt es, wie bei so vielen Dingen auf die Perspektive an.
In den Weiten des Alls fällt es nicht weiter auf, wenn die Menschheit sich durch nicht nachhaltiges Wirtschaften die Lebensgrundlagen zerstört und schließlich verschwindet.
Uns als Menschheit sollte es allerdings schon wichtig sein, auch zukünftigen Generationen einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen.
Und so gibt es auch beim Thema Investieren schon länger den Trend zur nachhaltigen Geldanlage.
Aber was heißt Nachhaltigkeit eigentlich genau?
Hier liegt schon der erste Hase im Pfeffer. Wenn man zehn verschiedene Leute fragt, was Nachhaltigkeit oder nachhaltiges Investieren eigentlich bedeutet, bekommt man vermutlich zehn verschiedene Antworten.
Ich persönlich denke, dass Nachhaltigkeit neben ökologischen auch soziale und ökonomische Aspekte vereinen muss. Mit anderen Worten: Das Ganze muss nicht nur für die Umwelt, sondern auch für den Anleger noch irgendwo Sinn machen.
Deshalb dürfen nachhaltige Finanzprodukte aus meiner Sicht nicht einfach die übliche Abzocke der Anleger mit hohen Gebühren und versteckten Provisionen weiterführen – mit dem einzigen Unterschied, dass dabei unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien abkassiert wird.
Leider passiert genau das bei vielen nachhaltigen Finanzprodukten: unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit, der sich ausgezeichnet für Werbezwecke missbrauchen lässt, werden die Kunden hemmungslos über Vertriebskosten, Ausgabeaufschläge, Abschöpfung von Dividenden, hohe laufende Kosten und versteckte dauerhafte (Bestands-)Provisionen geschröpft.
Der Fall Prokon
Im Januar 2014 beantragte Windenergiegesellschaft Prokon Insolvenz. Mehr als 75.000 Anleger waren betroffen. Sie hatten im Schnitt fast 20.000 Euro in Prokon-Genussscheine investiert.
Kein Wunder: Ich erinnere mich noch, dass man damals beim Zug- oder Straßenbahnfahren den Prokon-Werbeplakaten kaum entkommen konnte. Und waren die Konditionen nicht attraktiv!
Etwas Gutes tun und dafür auch noch außerordentlich hohe Zinsen bekommen! Der Prokon-Plan war ebenso einfach wie zum Scheitern verurteilt:
- Viel Geld in Werbung investieren
- Weit über dem Marktniveau liegende Zinsen für ein nachhaltig-ökologisches Windkraftanlagen-Investment versprechen und auszahlen
- Um Kunden anzulocken, eine kurzfristige Kündbarkeit des Investments gewähren, obwohl Windkraftanlagen ein langfristiges Investment über etwa 20 Jahre darstellen
- Darauf vertrauen, dass durch Anlocken immer neuer Anleger immer genügend Liquidität zur Auszahlung der hohen Zinsen bereitsteht, auch wenn die Rentabilität der Windkraftanlagen die Höhe der Zinszahlung keinesfalls rechtfertigt
Es kam wie es kommen musste: Da die hohen Auszahlungen an Bestandskunden nicht durch die laufenden Windstrom-Einnahmen gedeckt werden konnten, traten Liquiditätsengpässe auf, als der Zustrom an neuen Kunden sich verlangsamte.
Je mehr Anleger Wind davon bekamen und ihre Investments kurzfristig kündigten, desto mehr verschlimmerte sich das Liquiditätsproblem und schließlich blieb nur der Insolvenzantrag.
Was lernen wir daraus: Egal ob nachhaltig oder nicht: Wenn die Renditeversprechen zu gut sind um wahr zu sein, sind sie vermutlich auf Sand gebaut.
Ökoworld: Abzocke mit Fonds und Lebensversicherungen unterm Ökosiegel
Wie stellen Sie sich einen Vorstandsvorsitzenden vor? Klar geschniegelt und gebügelt mit Krawatte und Anzug.
Nicht so bei „Ökoworld“. Vorstandsvorsitzender Alfred Platow lässt sich mit Rauschebart und sorgsam zerzausten Haar ablichten. Schließlich ist er Alt-68iger und es geht ihm selbstverständlich weniger ums Geldverdienen als darum Gutes zu tun.
Im Spiegel-Interview bezeichnet er sich ganz bescheiden als „Sozialarbeiter des Geldes“. „Aha“, denke ich. Und was bieten die an und wie steht es um Kosten und Kostentransparenz?
Also gehe ich mal auf die Website von Ökoworld. Wo ich erfahre, dass die klassische und die fondsgebundene Rentenversicherung empfehlenswerte Anlageprodukte seien, die für gute Zinsen und Renditen stünden. Wie bitte?
Weiter heißt es bei Ökoworld: „Die klassische Rentenversicherung bietet dabei eine garantierte Verzinsung mit einer attraktiven Überschussprognose deutlich oberhalb der üblichen Spareinlagen. Die fondsgebundene Rentenversicherung ist eine Anlageform mit außerordentlich interessanten Gewinnaussichten.“ Bin ich hier in einem Parallel-Universum gelandet?
Ich verweise hier aus Platzgründen nur auf die eindeutigen negativen Einschätzungen meines geschätzten Mitstreiters Prof. Hartmut Walz gegen die Anleger-Abzocke zu diesen beiden Anlageprodukten.
Ökoworlds klassische Lebensversicherung
Überflüssig zu erwähnen, dass Ökoworld bei den angepriesenen Zinsen z.B. für ihre klassische Lebensversicherung Versirente „vergisst“, dass sich die Werte nur auf den (natürlich geheimen – so viel zum Thema Kostentransparenz) Sparanteil beziehen, der vielleicht bei 85% liegt.
Der Rest geht nämlich für Vertriebs- und sonstige Kosten drauf.
Dafür hat das Produkt ein dünnes Öko-Mäntelchen: sage und schreibe mindestens 22% der Kundengelder werden nachhaltig investiert- beeindruckend!
Ökoworlds Fondsprodukte
Nicht besser ergeht es einem bei den Fondsprodukten aus dem Hause Ökoworld: z.B. dem heftig beworbenen ÖkoWorld Rock ‘n‘ Roll Fonds C mit kolossalen, selbst für einen aktiv gemanagten Mischfonds stark überdurchschnittlichen jährlichen Kosten von 2,38% und 5% Ausgabeaufschlag.
Fünf Sternchen bekommt der Fonds bei Morningstar, da er in der grottenschlechten Fondskategorie der Mischfonds ein Performance-Star der letzten Jahre ist.
Wer allerdings mein Buch „Die große Fondslüge“ gelesen hat, oder wer sich mal bei führenden Wirtschaftswissenschaftlern umhört weiß: die Performance eines Fondsmanagers über 3, 5 oder 10 Jahre ist „Schall und Rauch“, ein Produkt hauptsächlich des Zufalls.
Kosten hingegen, da sind sich alle führenden Wirtschaftswissenschaftler einig, haben eine hohe Vorhersagekraft für das zukünftige Abschneiden eines Fonds: Je höher die Kosten, desto schlechter die Rendite-Prognose.
„Ökologie muss auch ökonomisch sein, sonst macht es keinen Sinn“, lässt sich Ökoworld-Vorstand Alfred Platow zitieren. Sehr richtig! Befolgen Sie seinen Rat und vermeiden Sie Fonds mit 2,38% laufenden Kosten!
Und schaut man genauer hin zeigt sich: die überdurchschnittliche Wertentwicklung des Rock ‘n‘ Roll Fonds (der unter anderem in indische börsengelistete Kindergärten investiert…) kommt einfach von einem überdurchschnittlichen Aktienanteil von 80%, während der Morningstar Vergleichsindex gerade mal gut 50% Aktienanteil aufweist.
Es werden also Äpfel mit Birnen verglichen: Der Fonds hat in den letzten überwiegend guten Aktienjahren natürlich eine bessere Performance als der viel defensivere Vergleichsindex, weil er ein viel riskanteres Portfolio hält.
Ebenso natürlich wird seine Performance der letzten Jahre von nachhaltigen Aktien-ETFs deutlich übertroffen.
Warum einfach, wenn‘ s auch kompliziert geht: Abzocke mit Nachhaltigkeitszertifikaten bei der Sparkasse
Anfang Februar erwähnte eine prospektive Kundin, dass sie auch schon Kontakt mit der örtlichen Sparkasse hatte. Die ihr zwei Produkte für ihr anzulegendes Kapital empfohlen hatte.
So etwas ist für mich als Honorarberater fast immer ideal. Kann ich doch meist sehr schnell aufzeigen, wie unvorteilhaft solche von Finanzprodukteverkäufern empfohlenen Investments sind.
Aber was ich dann zu Gesicht bekam, schlug doch dem Fass den Boden aus.
Neben einem Zins-Zertifikat mit negativer Verzinsung nach Kosten gab es da eine „Perle“ im Nachhaltigkeitsmantel.
Bei der lässt schon die Namensgebung die abenteuerliche Komplexität des Produkts erkennen: Da wird die „DekaBank 90 % Tresor-Anleihe mit Cap 02/2027 bezogen auf den MSCI World Climate Change ESG Select 4,5% Decrement“ empfohlen. Wow!
Stammkunden dieses Blogs verweise ich zunächst einmal auf die grundsätzlich negative und immer noch brandaktuelle Einschätzung des Blogbetreibers Anlagezertifikate – Dinge, die keiner braucht.
Aber zurück zum obigen Zertifikat: Neben den Kosten, die die Sparkasse mit 1.230 Euro Produktkosten bei einer Anlage von 25.000 beziffert, kommen noch die entgangenen Dividenden des zugrundeliegenden Aktienindex hinzu. Diese liegen in der Größenordnung von 2% pro Jahr(!) und werden von der Deka einfach eingestrichen, ohne dass das den meisten Anlegern groß auffällt….
Dafür ist das Ganze mit einer Garantie von 90% des Kapitals verbunden. Klar doch – Produkte mit Garantie verkaufen sich oft gut, egal wie unsinnig die Garantie daherkommt. Macht diese Garantie Sinn?
Schauen wir mal: Wenn man den MSCI World Index zugrunde legt (der das Universum für die im Nachhaltigkeitszertifikat enthaltenen Aktien ist), dann wäre eine solche Garantie über die Laufzeit von sieben Jahren, selbst wenn man zu den ungünstigsten Zeitpunkten der letzten dreißig Jahre investiert hätte, so gut wie wertlos gewesen.
Begründung: Wer auf dem Peak im Jahr 2000 in den MSCI World investierte, war sieben Jahre später bei 88% seines Kapitals. Wer auf dem Peak vor der Lehmann-Pleite 2007 investierte, war 2014 schon wieder deutlich im Gewinn bei ca. 126%.
Zudem ist die Garantie des Zertifikat keinesfalls umsonst, sie hat sogar einen extrem hohen Preis: man kann über die gesamte Laufzeit von sieben Jahren nie mehr als 24% Gewinn machen!
Durch diese Begrenzung der Gewinne bei 24% hätte man in der Vergangenheit mit einen solchen Zertifikat jede Menge Rendite verschenkt. So hat der MSCI World in den letzten sieben Jahren (2/2014 bis 2/2021, entsprechend der Laufzeit des Zertifikats) trotz Corona-Einbruchs kumuliert knapp 124% Rendite erzielt.
Überdies: die Laufzeit des Zertifikats ist bis Februar 2027 begrenzt. Dann muss umgeschichtet werden mit erneuten Kosten für Vertrieb und Nachfolge-Produkt. Und falls die Deka Insolvenz anmelden sollte (unwahrscheinlich aber nicht ausgeschlossen) trifft einen das volle Insolvenzrisiko.
Alternative eines Investments in nachhaltige ETFs oder Indexfonds
Die Alternative eines Investments in nachhaltige ETFs oder Indexfonds ist dagegen ungleich lukrativer.
Man hat zwar keine Kapitalgarantie. Dafür verzichtet man nicht auf ca. 2% Rendite, die jährlich über Dividenden zu erwarten ist. Erhält alle Kursgewinne auch oberhalb von 24%. Und kann das Investment beliebig lange zu minimalen Kosten von etwa 0,2% pro Jahr halten. Auch gibt es keinen Ausgabeaufschlag und keine Depotkosten. Und wenn der ETF-Emittent Pleite geht, ist Ihr investiertes Geld in voller Höhe als Sondervermögen geschützt.
Fazit
Nachhaltiges Investieren rückt zurecht mehr und mehr in den Fokus vieler Anleger und es gibt immer mehr nachhaltige Anlageprodukte.
Einen perfekten Nachhaltigkeitsfilter gibt es nicht. Aber Anleger können heutzutage zumindest recht leicht z.B. Rüstungsunternehmen oder klimaschädliche Industrien aus ihren Depots verbannen.
Aber auch hier gilt: Seien Sie kein LEO, der sich unter dem Deckmäntelchen der Nachhaltigkeit ein überteuertes Produkt andrehen lässt, das nachhaltig nur eins steigert: den Profit des Anbieters.
Erschienen am 19. März 2021.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Hallo Herr Ritzau,
vielen Dank für den Beitrag. Wie viele mach auch mir natürlich Gedanken, ob ’nachhaltiges‘ Investieren Sinn macht. Neben der (eigentlich selbstverständlichen) Überlegung, dies mittels günstiger ETFs auf irgendwelche ESG Indizies zu machen, die es ja inzwischen von allen großen Index-Anbietern gibt, stelle ich mir aber eher die Frage, ob das überhaupt rational ist. Ich habe ja durch die Bücher von Herrn Walz gelernt, unsystematische von systematischen Risiken bei der Geldanlage zu unterscheiden und ich frage mich daher, ob ESG Investments nicht eine klassische Wette auf ein aktuell sehr ge-hyptes Thema darstellen, die ein rationaler Anleger eigentlich vermeiden sollte. Am Ende unterstützt man ja Ökologie und Nachhaltigkeit nicht, indem man in die entsprechenden Unternehmen investiert, sondern indem man die Produkte und Dienstleistungen dieser Unternehmen kauft. Wenn das viele Menschen tun, werden diese Firmen ein entsprechendes Wachstum erlangen und damit auch eine höhere Gewichtung in den klassischen Indizes erreichen, womit man dann automatisch als Anleger in einem breit gestreuten Welt-ETF partizipiert. Mit besten Grüßen – Andreas Cappel
Es ist immer wieder erschreckend, was sich so tummelt und als das non-plus-ultra an Frau und Mann gebracht werden. Da ich schon lange in der Branche bin und einem vieles als „seriös“ und gut angepriesen wurde (muss man haben). Dank diverser nachvollziehbarer Lektüre, danke dafür, werde ich den einen oder anderen Kunden, in den letzten Jahren meiner Tätigkeit – sicherlich noch auf „gesunde Füße“ stellen können. Ist nicht immer leicht, da es nicht jedem leicht fällt, einen Fehler zuzugeben, wenn man die nackten Zahlen und Fakten auf den Tisch legt – beim Einkauf für den täglichen Bedarf, wird auf den Preis geschaut – bei der Vorsorge wissen die wenigsten, dass die auch ihren Preis hat – wahrgenommen wird eigentlich nur Honorar oder Courtage. Finanzdinge liegen in Deutschland noch immer in einem Dornröschenschlaf!!
Grundsätzlich stimme ich ihren Überlegungen vollumfänglich zu. Die Alternative zum Investieren in ESG/SRI gefilterte Anlagen ist immer das eigene Verhalten als Verbraucher. Und es bestehen sicher auch Überbewertungsproblematiken. Dennoch finde ich es gut, dass man die Option hat auch als Investor über ETFs oder Indexfonds kostengünstig bestimmte Branchen nach einem klar definierten Auswahlprozess auszuklammern, bzw. in den übriggebliebenen Branchen ein Best-in-Class-Ansatz zu verfolgen.
Freundliche Grüße
Michael Ritzau
Wow, dieser Beitrag war harter Tobak für mich. Da glaubt man, dass man kein LEO ist und dann passiert einem doch so ein Anfängerfehler. Hab einen Ökoworld Fonds im Depot. Bislang der absolute Überflieger. Nun habe ich mir meine Gedanken gemacht und werde das Teil wohl abstoßen und auf einen ETF mit günstigerer TER setzen.
Hallo Herr Dr. Ritzau,
…vielen Dank für den tollen Beitrag und die Verdeutlichung, dass Nachhaltigkeit mehr als nur ökologische Aspekte vereinen muss! Verrückt, über was man alles einen unsinnigen „Deckmantel“ stülpen kann. Bleibt die Hoffnung, dass viele diesen Beitrag lesen und weiter erzählen/teilen, damit diese „Marketing-Gag’s“ der Finanzindustrie einfach ihren wahren Hintergedanken offenbaren und mehr und mehr Kunden darauf nicht hereinfallen! Der eigentlich sinnvolle Gedanke der „Nachhaltigkeit“ (auch über Finanzprodukte zu erreichen) wird so nämlich ad absurdum geführt! Aufklärung tut einfach Not!
Herzliche Grüße
Volker Hildebrand