Eine clevere Strategie der FPVs lässt Sie die Kosten völlig unterschätzen
Die Strategie der Preisspaltung
Preisspaltung hat nichts mit Haarspalterei zu tun – ist aber ganz sicher zum Haare raufen. Der Kunde kann sich bemühen, wie er will, eine Vergleichbarkeit von Produkten und Leistungen ist ihm bei Preisspaltung meist unmöglich.
Ein Beispiel gefällig? Vor ein paar Jahren erwarb ich ein scheinbar sehr billiges Bücherregal zum Selberbauen. Man konnte einzeln Regalböden unterschiedlicher Länge kaufen, ebenso die Standfüße, Winkel, Schrauben und Muttern in 10er-Päckchen und optional Querstreben für die Stabilität. Alles einzeln und für sich genommen sehr billig, so für 0,99 Euro, 1,99 Euro, 2,99 Euro oder 3,99 Euro. An der Kasse habe ich dann aber nicht schlecht gestaunt, wie teuer das Regal letztlich wurde. Und nach zwei Tagen musste ich nochmals nachkaufen, da ich die Querstreben nicht erworben hatte. Und ohne die war das Ganze doch eine recht wackelige Angelegenheit…
Letztendlich war das Regal erheblich teurer als vergleichbare Regale im Komplettangebot. Doch ich hatte eine Lektion gelernt – das Prinzip der Preisspaltung – exakt unser heutiges Thema.
Preisspaltung im Finanzdienstleistungsvertrieb
Was bei einem Regal noch überschaubar sein mag (zumindest wenn man ein wenig cleverer vorgeht, als ich das in meiner Begeisterung tat) wird bei vielen Finanz- und Vorsorgedienstleistungen aufgrund ihrer Abstraktheit und Komplexität zur nahezu unlösbaren Aufgabe.
Preisspaltung – hier gibt es häufig eine
- Vielzahl von Kosten- oder Preiskomponenten
- die zudem noch über die Zeit schwanken können
- und sich in jeweils unterschiedlicher Höhe
- auf unterschiedliche Bemessungsgrundlagen beziehen
- wobei diese Bemessungsgrundlagen über die Zeit ebenfalls schwanken können.
Alles klar? Dann haben Sie das verstanden.
Preisspaltung – Beispiel Investment-Zertifikat
Das Zertifikat hat einen Ausgabeaufschlag. Das sind einmalige Kosten. Basis hierfür ist der Anlagebetrag.
Zusätzlich fallen noch laufende Kosten an. Das sind jährlich wiederkehrende Kosten. Basis hierfür wird meistens der am Jahresende bestehende Kurs- oder Marktwert sein.
Wenn sie Pech haben, wird bei der Einlösung bzw. Verkauf des Zertifikates ein Rücknahmeabschlag fällig. Basis hierfür ist der Verkaufs- oder Einlösungswert.
Wenn Sie das Zertifikat nicht bei der Ausgabe zeichnen, werden Ihnen wahrscheinlich differenzierte An- und Verkaufskurse angeboten, d. h. dass eine Spanne zwischen Erwerbspreis (höher) und Rücknahmepreis (niedriger) auftritt. Basis für diese Spanne ist der Wert der Anlage zum Kauf- bzw. Verkaufszeitpunkt.
Beim Handel über einen Börsenplatz sollten die eigentlichen Transaktionskosten der Börse bedacht werden. Abgesehen von Mindestkosten bei kleinen Beträgen wird diese Kostenart sich auf das Transaktionsvolumen (also wieder Wert zum Kauf- bzw. Verkaufszeitpunkt) beziehen.
Hinzu kommen ggfs. Performancegebühren also eine Art Erfolgsgebühr, die Sie bezahlen, wenn sich das Zertifikat positiv entwickelt. Die Messung des „Erfolgs“ ist ein heikler Punkt. Es kann – je nach Bedingungen durchaus vorkommen, dass Sie Performancegebühren zahlen, obwohl sich Ihr Zertifikat schlechter als der Markt entwickelt. Und warum Sie Erfolgsprämien bezahlen, jedoch bei Misserfolg keinen Schadenersatz bekommen, das können nur FPVs erklären. Basis für diese Kostenart sind Gewinne oder Wertsteigerungen – also wiederum eine neue Basis.
Schließlich kann als Kostenart noch eine Depotgebühr hinzukommen, die entweder fix auf Jahresbasis oder – ebenfalls jährlich – auf Basis des Depotwertes berechnet wird.
Der Autor kann nicht ausschließen, dass noch weitere Kostenarten hinzukommen – Aufzählungen unterliegen prinzipiell immer der Gefahr, unvollständig zu sein. J
Preisspaltung – Beispiel Fondspolicen
Noch mehr Möglichkeiten für das Prinzip der Preisspaltung gibt es z. B. bei fondsgebundenen Lebens- oder Rentenversicherungen (= Fondspolicen). Hier findet der Experte mindestens sieben Teilpreise (= Kostenarten), die teilweise nochmals in mehrere Unterarten zerfallen. Nur ein kleiner Teil dieser Kosten ist vom Verbraucher mit angemessenem Aufwand nachvollziehbar und selbst ein Experte, der sich viel Zeit nimmt, kann bestimmte Kostenarten nicht quantifizieren. Gut gemacht von den Finanzdienstleistern und ein herzliches Kompliment für die Lobbyisten in Berlin!
Preisspaltung – Beispiel Kreditvergabe
Banken spalten die Kreditvergabe in Teilpreise für z. B. Nominalzins, Disagio, Bereitstellungsprovision, Gebühren für Sicherheiten und ein Transferkonto sowie zusätzliche Spesen und Auslagen. Hinzu kommt oftmals noch eine Restschuldversicherung.
Preisspaltung – das Prinzip der kleinen Mittel
Letztlich nutzen die Anbieter zu Lasten des Kunden das Prinzip der kleinen Mittel. Sie setzen einen niedrig erscheinenden Grundpreis und verlangen für Komponenten und Leistungen zusätzliche – wiederum niedrig wirkende – Kosten, die jedoch in der Summe einen stattlichen Kostenblock und damit einen ungeahnt hohen Gesamtpreis ergeben.
Preisspaltung – Sie haben keine Chance, also nutzen Sie diese!
Sicher haben Sie schon bemerkt, dass es kein einfaches Rezept zum Zusammenfügen der einzelnen Kostenarten zu einer Gesamtgröße gibt.
Und: es bringt überhaupt nichts, wenn man sich auf einzelne (gut nachvollziehbare) Kostenarten stürzt, solange man andere nicht oder nicht vollständig kennt.
Was bedeutet dies konkret für Sie?
Meine Empfehlung an dieser Stelle muss also leider recht radikal sein.
- Meiden Sie Produkte, bei denen es viele (und intransparente) Teilpreise gibt. Hinterfragen Sie, ob Sie solche Produkte wirklich benötigen und ob Sie diese nicht durch einfachere und transparente Alternativen ersetzen können.
- Meiden Sie Kombi-Pakete (=Bündel), also Finanzdienstleistungen, die mehrere Teilleistungen miteinander verknüpfen. Solche „Rundum-Sorglos-Pakete“, die insbesondere von Strukturvertrieben angeboten werden, sind maximal intransparent und maximal überteuert. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen von diesem Grundsatz.
- Prüfen Sie bei Vorsorgeverträgen über Versicherungen die Alternative sogenannter Netto-Tarife – das sind Tarife, bei denen keine Vertriebskosten enthalten sind. Netto-Tarife gibt es (noch) nicht bei allen Versicherungsprodukten, jedoch z. B. bei der oben genannten Fondspolice. Erhältlich sind Nettopolicen bei Honorarberatern. Den ersparten Vertriebskosten steht also ein zu bezahlendes Honorar gegenüber. Gleichwohl haben Sie zwei Vorteile: Erstens ist das Beratungshonorar regelmäßig geringer als die Vertriebskosten – meist sogar erheblich geringer. Zweitens werden die übrigen Kostenarten in transparenter Weise offen gelegt, so dass Sie sich ein realistisches Bild machen können.
Haben Sie auch Beispiele für „Preisspalterei“? Dann schreiben Sie mir einen Kommentar oder eine E-mail.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 30. Juni 2017.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Hallo Herr Walz,
gerne steuere ich zu diesem Thema aus dem mir vertrauten Gaming-Industrie-Szenen-Bereich ein Beispiel bei. Früher warfen die Spielefirmen ein Spiel fertig auf den Markt, sodass der Nutzer sämtliche Inhalte genießen konnte. Heute wirft sie das Spiel zwar in ihrer Grundausstattung „fertig“ auf den Markt, doch der Nutzer hat die Möglichkeit durch zusätzliche Downloads und Kauf, weitere Inhalte zu erwerben, die sein „Spielerlebnis“ bereichern sollen (ein Schelm wer […] Sie verstehen schon 🙂 ). Ein großartiges Beispiel ist die Firma EA. Sei es ein Fußballspiel wie FIFA, bei dem neue Spieler oder Trikots der Mannschaften dazugekauft werden können oder einfach nur das klassische Simulationsspiel „The Sims 3“ bei dem neben dem „Hauptspiel“ für nicht zu knappe 39€ zusätzliche DLCs (Downloadable Content) im Schnitt für 9-29 € erhältlich sind. Unterm Strich würden Wir bei „The Sims 3“ auf eine stolze Summe von über 300€ kommen, wollten wir das Spiel in seiner ganzen Fülle erleben!
Sie sehen, dass es neben der Finanzdienstleistungsindustrie auch noch andere verstanden haben, wie mit Preisspaltung der Profit erhöht werden kann.
Herzliche Grüße
Sven Stettner
Hallo Herr Stettner, haben Sie herzlichen Dank für Ihr anschauliches Beispiel zur Preisspaltung, das mich sehr überzeugt hat. Ja, so bekommt man uns Verbraucher dazu, dass wir Preise unterschätzen oder – ganz nach dem Motto – wer A sagt, muss auch B sagen – im Ergebnis viel mehr Kosten akzeptieren als eigentlich gewollt. Bitte bleiben Sie so clever und selbstreflektierend, lieber Herr Stettner.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO! (sind Sie ja nicht) 🙂