DIE GROßE LEBENSVERUNSICHERUNG
Run-Off: Lebensversicherer veräußern Altbestände an Abwicklungsgesellschaften – was tun?
Großer Run-Off in der Lebensversicherung. Was zunächst als Randerscheinung abgetan wurde, entwickelt sich Stand 2018 zum ernsten Thema.
Was bedeutet Run-Off?
Immer mehr Versicherer wollen ihr Geschäft mit Lebensversicherungen loswerden, weil es sich für sie nicht mehr lohnt. Eine Möglichkeit: Die Versicherer verkaufen ihre gesamten Vertragsbestände von kapitalbildenden Lebensversicherungen möglichst ertragreich – oder wenigstens verlustarm – an sogenannte externe Abwicklungsgesellschaften (sogenannter externer Run-Off).*
Dies geht regelmäßig mit der Aufgabe des Neugeschäfts einher, d. h. die Versicherer ziehen sich aus diesem Geschäftsbereich komplett zurück und stellen das Neugeschäft ein. Oder bieten alternative „innovative“ Indexpolicen an (vor denen ich in einem früheren Blogbeitrag schon gewarnt habe).
Auch einige deutsche Versicherer haben ihre Bestände bereits verkauft. Eine größere „Bugwelle“ ist wohl ab 2018 zu erwarten: Nach aktuellen Presseberichten könnte kurzfristig ca. jeder vierte Versicherungskunde von einem Bestandsverkauf betroffen sein – langfristig natürlich durchaus noch mehr. Von rund 20 Mio. betroffenen Verträgen ist die Rede – das ist wahrlich keine Randerscheinung mehr.
Und Sie als Kunde?
Für Sie als Versicherungsnehmer bedeutet ein externer Run-Off, dass Sie einen neuen Vertragspartner erhalten. Hoppla, er wird einfach ausgetauscht. Statt Ihres einst gewählten Versicherungsunternehmens ist dies nun eine andere, Ihnen wahrscheinlich bis dato unbekannte Gesellschaft. Ihre Auszahlungsansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag soll nun diese andere Gesellschaft erfüllen.
Informationspolitik der Versicherer
Die Informationspolitik einiger Versicherer, die munter die Verkaufsabsicht öffentlich bestreiten, dann jedoch – quasi über Nacht – ihren Bestand doch an einen meist ausländischen Abwickler veräußern (wollen), trägt zusätzlich zur Verunsicherung der Verbraucher bei.
Eine Auflistung der betroffenen Gesellschaften erschien mir vor dem Hintergrund der täglich wechselnden Informationslage wenig sinnvoll. Daher: Wenn Sie einen laufenden Lebensversicherungsvertrag besitzen und sich über den aktuellen Stand der Dinge informieren wollen, dann „googeln“ Sie einfach den Namen Ihres Versicherers in Kombination mit den Worten „Run Off“ und lassen Sie sich überraschen.
Unglaubwürdige Argumentation der Versicherer: Run-Off läge im Kundeninteresse
Wenn Versicherer behaupten, dass die Bestandsübergabe an Abwicklungsgesellschaften im Kundeninteresse lägen, da die Abwicklungsgesellschaften ja z. B. keine Vertriebskosten mehr hätten und auch ansonsten effizienter arbeiten würden, dann ist das mutig bis abstrus – und letztlich ein selbst ausgestelltes Armutszeugnis für die Versicherungsbranche.
Wer kein Neugeschäft mehr durchführt, muss eingestehen, dass sein Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Und wenn eine Abwicklungsgesellschaft relevante Kostenvorteile gegenüber einem langjährig tätigen Branchenunternehmen erzielt, dann ist das ein klares Indiz dafür dass man dort nicht kosteneffizient gearbeitet hat. Ressourcenverschwendung zum Nachteil der Kunden.
Schlechter Ruf eilt den Abwicklungsgesellschaften voraus
In Deutschland gibt es aufgrund der kurzen Historie von Run-Offs, also dem Bestandsverkauf an Abwicklungsgesellschaften noch (zu) wenig belastbare Erfahrungen mit deren Vorgehensweise und Verbraucherfreundlichkeit.
In anderen Europäischen Ländern werden Run-Offs schon länger praktiziert. Dort gibt es zahlreiche Klagen der Versicherten über die zum Teil rüden Vorgehensweisen der Abwickler, die diesen z. B. in Großbritannien den Ruf „Zombie Insurers“ also Zombie-Versicherer eingetragen hat.
Berechtigte Sorgen der Versicherten
Es ist naheliegend, dass Versicherungskunden sich nicht darüber freuen, wenn ihr Vertrag an einen Abwickler verkauft wird. Die Abwicklungsgesellschaft wird dem Kunden höchstwahrscheinlich nur gerade das, was dieser gesetzlich verlangen und einklagen kann – und keinen Cent mehr.
So wird sie beispielsweise Überschussbeteiligungen so weit wie gesetzlich möglich herunterfahren. Denn die Rechtslage und Bewertungsprozesse weisen erhebliche Spielräume für die Ermittlung von Überschüssen und den Zeitpunkt ihrer Weitergabe an die Versicherungsnehmer auf.
Auch wird es Kulanz oder Rücksicht auf die Marke des ursprünglichen Versicherers – insbesondere nach ein paar Jahren – nicht mehr geben. Und inwieweit den Abwicklungsgesellschaften ein eigenes gutes Image und Reputation wichtig sind, vermag niemand zu sagen.
Daher sind erfahrene Verbraucherschützer einhellig wenig optimistisch, Sie glauben nicht, dass die Kunden letztlich vom Verkauf ihrer Lebensversicherungen an eine Abwicklungsgesellschaft profitieren. Vielmehr gilt hier wohl das bekannte Bild von den Vampiren, die die Buchhaltung einer Blutbank übernehmen…
Rechtliche Rahmenbedingungen des Bestandsverkaufs
Während ein Versicherer einzelne Verträge (z. B. von „schwierigen“ oder betreuungsintensiven Kunden) nicht an einen Dritten weiterveräußern darf, ist es rechtlich grundsätzlich möglich, den Gesamtbestand aller Verträge an eine Abwicklungsgesellschaft zu verkaufen.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) muss die Transaktion genehmigen. Das Genehmigungsverfahren ist aufwendig und dauert regelmäßig über ein Jahr. Was erklärt, warum aktuell so viele dieser Transaktionen „in der Schwebe“ sind.
Der einzelne Versicherungskunde kann dem Verkauf seiner Police nicht widersprechen. Er hat keinerlei Beeinflussungs- oder Interventionsmöglichkeit, sofern die BaFin dem Run-Off zugestimmt hat.
Immerhin: Die Befürchtung, dass die staatliche Aufsicht durch den Verkauf (z. B. an ausländische Abwickler) unterlaufen werden kann, ist unberechtigt. Denn auch die Abwicklungsgesellschaften unterliegen der Überwachung durch die BaFin.
Für die Abwicklungsunternehmen gelten die gleichen Vorschriften und die gleichen Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörde wie für alle anderen Versicherer. Insbesondere müssen sie ausreichend kapitalisiert sein, über ein effektives Risikomanagement verfügen und umfangreiche Berichtspflichten erfüllen.
Letztlich ist der externe Run-Off eine unternehmerische Entscheidung des Versicherungsunternehmens. Die BaFin hat einzuschätzen, ob die Belange der Versicherten gewahrt werden. Sind diese gewahrt, muss sie die Transaktion genehmigen.
BaFin in der Zwickmühle zwischen Systemschutz und Verbraucherschutz
Im Ergebnis bin ich leider überzeugt, dass der Versicherungskunde die Zeche zahlen muss. Und der Staat wird ihm nicht wesentlich helfen, da einmal mehr die bekannte Regel gelten wird: „Systemschutz geht über Verbraucherschutz!“ Das heißt: das oberste Ziel des Staates besteht darin, die Insolvenz großer Versicherungsunternehmen und damit eine Systemkrise zu verhindern. Und die Übertragung von Altbeständen an Abwicklungsgesellschaften kann hierzu ein nützlicher Baustein sein. Ihre individuellen Interessen als Verbraucher und Kunde müssen da wohl zurück stehen.
Und was bedeutet das nun konkret für Sie?
Der eigentliche Run-Off selbst sollte keine panische Aktivität bei Ihnen auslösen.
- Wenn Sie gut informiert waren, haben Sie sich – ganz unabhängig vom Thema Run-off – Ihre Altverträge schon früher einmal angeschaut. Und am besten mit professioneller Hilfe eines unabhängigen Gutachters oder Honorarberaters über die weitere Vorgehensweise entschieden.
- Wenn Sie das nicht getan haben, holen Sie diese Prüfung nun eben einigermaßen zeitnah nach. Der Alternativenraum sieht grundsätzlich so aus:
(siehe Kapitel D 6 „Verunsicherte Versicherte“ in meinem Buch „Einfach genial entscheiden in Geld- und Finanzfragen“.)
– Vertrag unverändert mit vorgesehener Dynamik weiterführen
– Vertrag weiterführen, aber Dynamik widerrufen
– Vertrag beitragsfrei stellen, aber nicht kündigen
– Vertrag kündigen und das erhaltene Geld anderweitig besser anlegen
– Verkauf der Police oder
– Möglichkeit eines Widerrufs des Vertrages prüfen (sog. „Widerrufs-Joker“), ggf. Rückabwicklung des Vertrages. (hierzu wird es in Kürze einen gesonderten Blogbeitrag geben)
Welche der obigen Alternativen in Ihrem konkreten Fall die beste ist, ergibt die konkrete Prüfung. Und die hieraus abgeleitete Entscheidung sollten Sie – völlig losgelöst vom Run-Off – dann eben auch konsequent umsetzen.
Konnte dieser Beitrag Ihre Gedanken zum Thema Run-Off ordnen? Dann bitte gleich weiter empfehlen.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
* Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit dem derzeit in den Medien viel thematisierten externen Run-Off. Neben diesem Verkauf des Versicherungsbestandes in Gänze an einen Investor, gibt es noch andere Möglichkeiten, dass Versicherungsgesellschaften ihre Geschäfte abwickeln. So z. B. die bloße Einstellung des Neugeschäfts ohne Übertragung oder gar die Übertragung des gesamten Versicherungsunternehmens.
Erschienen am 11. Mai 2018.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Hallo Herr Walz,
ein äußerst unerfreulicher, aber leider auch ein sehr wichtiger Beitrag.
Wir verdrängen ja negatives sehr gerne, jedoch wir es davon nicht besser…
Ich selbst habe bereits Ende letzten Jahres bei meiner kapitalbildenden Lebensversicherung die Reißleine gezogen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Ich bin kein LeO!
Danke für die Infos – ich bleibe Ihnen erhalten.
Josef K. aus Duisburg
Lieber Josef K., oft bin ich tatsächlich der Überbringer schlechter Botschaften 😉
Aber es wird ja nicht besser, wenn wir die Augen vor unerfreulichen Geldanlage- und Vorsorgeprodukten verschließen, da haben Sie recht. Und außerdem gibt es ja Alternativen, und die zeige ich ja auch auf.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Hallo Herr Walz,
ich möchte Ihnen meine ausdrückliche Anerkennung dafür aussprechen, dass Sie dieses wichtige Thema so emotionalos und gut verständlich auf den Punkt gebracht haben.
Aus meiner Sicht ist für mich selbst – aber wahrscheinlich auch viele andere Leser Ihres Bogs – die nur knapp angesprochene Möglichkeit des „Widerspruchsjokers“ eine sinnvolle Möglichkeit, aus unvorteilhaften Verträgen noch möglichst schadlos herauszukommen. Sie würden der Leserschaft einen großen Dienst erweisen, wenn Sie zum Widerspruch eine ebenso profunde „Kurzanleitung“ und Erstinformation zur Verfügung stellen könnten.
Ganz herzlichen Dank und bleiben Sie so engagiert und verbraucherorientiert.
Sig. Krausmann
Liebe/r Sig. Krausmann, die Verbraucherorientierung ist mir wirklich ein Herzensanliegen. „Waffengleichheit“ zwischen Anbietern und Privatanlegern ist mein Ziel 😉
Ein Blogbeitrag zum Thema „Widerrufsjoker“ ist bereits in Arbeit. Werde mir wieder profunden Rat dazu beitragen lassen.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Danke, sehr geehrter Herr Professor, dass Sie über dieses Ärgerthema so sachlich informieren.
Beim Lesen Ihrer Blogbeiträge habe ich immer wieder den gleichen Gedanken: Warum haben wir uns nicht zwanzig Jahre früher kennen gelernt? Das hätte mir sehr viel Geld gespart.
Nun kann ich lediglich ein wenig „Schadenbegrenzung“ betreiben.
Trotzdem Danke
Siegfried Kuhn
Lieber Herr Kuhn, leider können Sie rückwirkend in der Tat nur Schadensbegrenzung leisten. Aber Sie können nette Menschen in Ihrer Umgebung (Kinder, Freunde…) davor bewahren, in die gleiche Falle zu tappen. Denn zum einen werden täglich noch tausende dieser Verträge neu abgeschlossen. Zum anderen gibt es weitere „innovative“ Produkte der Versicherungswirtschaft, die nicht besser sind (z. B. Indexpolicen). Hingegen sind preiswerte Nettopolicen noch weitgehend unbekannt.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Systemschutz geht über Verbraucherschutz, habe Ihre Prognose gleich getwittert. Vielen Dank für den erhellenden Blogartikel, lieber Herr Prof. Walz!
Liebe Frau Dr. Happel, vielen Dank für Ihre prägnante Stellungnahme aus so sachverständigem Munde.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
„Wer kein Neugeschäft mehr durchführt, muss eingestehen, dass sein Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert.“
Zu glauben (wie es die Lobby suggeriert), dass es im Run-Off bei noch verbleibender langer Vertragslaufzeit dann Vorteile für den Kunden haben soll lässt auch mich wieder einmal kopfschüttelnd zurück!
Bleibt wahrscheinlich nur, sich die Verträge tatsächlich genau anzuschauen und über das berüchtigte „lieber ein Ende mit Schrecken anstatt Schrecken ohne Ende“ nachzudenken. Dann bleibt nur Schadensbegrenzung zu betreiben, wenn die laufenden Verträge schon jetzt nicht lohnen!
DANKE einmal mehr für diesen Artikel – ich hoffe er öffnet vielen die Augen und regt zum Teilen an….. ich werde das über meinen Social-Media-Kanal nun mal (wieder) tun 🙂
Herzliche Grüße
Lieber Herr Hildebrand, danke für die fachliche Bestätigung und das Teilen!
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!