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Der Backfire-Effekt – Wenn Fakten versagen

DER BACKFIRE-EFFEKT
Wenn Fakten versagen

Wie Sie durch Wände gehen, der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen. Oder trotz Nullzinswelt garantiert hohe risikofreie Renditen erzielen.

 

Na, das klingt doch fantastisch, oder? Gerade zu schön, um wahr zu sein? Nun, wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein. Dann ist es meist auch nicht wahr.

 

Da könnte man dann mal drüber nachdenken

Doch selbst die Konfrontation mit eindeutigen Fakten, wissenschaftlich belastbaren Erkenntnissen oder sonstiger empirischer Evidenz bringt uns Menschen nicht unbedingt dazu, Fehlentscheidungen zu korrigieren oder vom falschen Weg auf den richtigen zu wechseln.

Dies gilt für Kunden, die wider besseres Wissen krass unvorteilhafte Vorsorgeverträge fortführen. Ebenso wie für FPVs [1] die wider besseres Wissen weiterhin solche Verträge „schreiben“.

 

Zitat von Upton Beall Sinclair Jr.

 

Während die Beratungsresistenz der FPVs also leicht durch ihr Eigeninteresse erklärt werden kann, ist das Festhalten der Kunden an unvorteilhaften Verträgen kaum nachvollziehbar. Es ist selbstschädigend und durch Eigennutz jedenfalls nicht zu erklären.

 

Erklärungsversuch

Vor über zwanzig Jahren las ich erstmals das einfach geniale Buch von Robert B. Cialdini „Die Psychologie des Überzeugens“, welches eigentlich „Die Psychologie der Manipulation“ heißen müsste.

Im Kapital „Der Gipfel der Ignoranz“ beschreibt Cialdini folgende, selbst von ihm erlebte und durch Zeugen abgesicherte Begebenheit.

Cialdini hatte sich gemeinsam mit einem Forscher-Kollegen zu einer Werbeveranstaltung von kostenpflichtigen Kursen für „Transzendentale Meditation“ (TM) angemeldet.

Die Werber behaupteten, TM könne jedem zu ungeahnten Möglichkeiten verhelfen. Von einfachem inneren Frieden bis hin zu spektakulären Dingen, wie zu schweben oder durch Wände zu gehen. Letzteres freilich durch fortgeschrittenere (und teurere) Stufen des Programms.

 

ohmm

 

Cialdinis Forscher-Kollege war über die unhaltbaren und manipulativen Versprechungen der beiden TM-Werber entsetzt. Und trug eine zwar im Ton freundliche, aber inhaltlich schonungslose Kritik des Gehörten vor. In kürzester Zeit hatte er präzise bewiesen, dass die Argumentation der Redner widersprüchlich, unlogisch und nicht haltbar war.

Die Wirkung dieser Gegenrede auf die beiden TM-Werber war vernichtend. Nach einem Augenblick betretenen Schweigens versuchten es die beiden mit einer zaghaften Replik. Hielten mittendrin inne, um miteinander zu beratschlagen. Und gaben schließlich zu, dass die angebrachten Kritikpunkte berechtigt wären.

 

Und dann…

Jedoch folgte eine völlig überraschende Reaktion der bisher schweigenden Mehrheit der Zuhörer. Diese veranstalteten einen regelrechten Run auf Plätze des kritisierten TM-Kursangebotes.

Die Leute konnten gar nicht schnell genug ihre 75 Dollar loswerden, um sich einen Platz zu sichern. Die beiden TM-Werber waren sichtlich verwirrt. Und natürlich erfreut.

Nachdem ihre ganze Präsentation erst peinlich klar gescheitert zu sein schien, hatte sich die Veranstaltung nun als großer Erfolg beim Publikum entpuppt.

 

Auch Cialdini war völlig erstaunt

Er glaubte zunächst, dass die Zuhörer die Logik der Argumente seines Kollegen nicht verstanden hatten. Wie sich im Einzelgespräch mit Zuhörern, die Tickets für 75 Dollar erworben hatten, zeigte, war jedoch genau das Gegenteil der Fall.

Alle Ticketkäufer hatten die Gegenargumente und Widerlegungen der Versprechungen der TM-Verkäufer verstanden. Diese Käufer befanden sich jedoch jeweils in einer recht verzweifelten persönlichen Lage und benötigten dringend einen „Rettungsanker“.

Aufgrund des stark emotionalen Wunsches nach einem „Erlöser“ verspürten sie daher die Bereitschaft, an die Versprechungen der TM-Werber zu glauben. Sie wollten und wünschten in ihrer Verzweiflung, dass TM für sie funktioniert.

„Eigentlich hatte ich ja nicht vorgehabt, heute Abend auch nur einen Cent auszugeben, weil ich im Moment ziemlich pleite bin; ich wollte noch bis zum nächsten Treffen warten. Aber als Ihr Kumpel zu reden anfing, wusste ich, am besten würde ich sofort bezahlen, andernfalls wäre ich nach Hause gegangen und hätte mir Gedanken gemacht über das, was er gesagt hat. Und dann hätte ich mich niemals angemeldet.“

 

Auf einmal war Cialdini alles klar

Dies waren Leute, die in schlimmen Schwierigkeiten steckten. Und die alles darum gaben, diese los zu werden. Sie waren auf der Suche nach einer Lösung für ihre Probleme und hatten – falls man den Versprechungen Glauben schenken konnte – mit TM eine mögliche Lösung gefunden.

Auf Grund ihrer Bedürfnislage waren sie sehr stark daran interessiert, mit TM nun das Patenzrezept für ihre Probleme gefunden zu haben.

Nun trat – in Form von Cialdinis Kollegen – die Stimme der Vernunft dazwischen. Und wies darauf hin, dass ihre gerade gefundene Lösung auf Sand gebaut war.

Panik! Es musste sofort etwas unternommen werden, ehe die Logik ihren Tribut verlangte. Und sie wieder ohne Hoffnung dastanden.

Ganz schnell mussten Mauern gegen die Vernunft her. Und es spielte keine Rolle, dass die Festung, die man errichtete, eine der Ignoranz war.

„Schnell, bringt mich in Sicherheit vor falschen Gedanken! Hier, nehmt das Geld. Puh, gerade noch rechtzeitig. Kein Grund mehr, über das Ganze nachzudenken.“

 

Die Entscheidung stand

Und von nun an konnte, wann immer Bedarf bestand, das Konsistenzband abgespielt werden.

„TM? Natürlich wird es mir helfen. Natürlich mache ich weiter. Natürlich glaube ich an TM. Ich habe doch gutes Geld dafür bezahlt, oder?“

 

Ach, wie praktisch ist gedankenlose Konsistenz

Und noch ein Phänomen, nämlich der sogenannte Backfire-Effekt.

 

Backfire-Effekt

 

Eine mögliche Erklärung für das Auftreten des Backfire-Effektes könnte darin liegen, dass wir Menschen uns konsistent verhalten, also z. B. zu einer in der Vergangenheit getroffenen Entscheidung stehen wollen.

Für am weiteren Hintergrund interessierte LeserInnen lohnen die spannenden Aussagen von Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz. Auchtung: Leon war kein LeO!  😉

 

Transfer auf den Markt für Geldanlagen und private Vorsorge

Zur Übertragung auf den Gegenstandsbereich dieses Finanzblogs sind nur wenige Schritte nötig. Wahrscheinlich ratterten Ihre gedanklichen Rädchen im Hintergrund schon.

Angesichts der Null- und Minuszinswelt ist der Kundenschmerz bei vielen Fragestellungen der Vermögensanlage und langfristigen Vorsorge immens.

Damit auch die Bereitschaft entsprechend groß, die objektiven Fakten zu ignorieren. Und den Heilsversprechungen der Erlöser zu folgen.

 

Ein paar Beispiele:

Beispiele für Fakten einerseits und Heilsversprechen andererseits

 

Ernüchternde Erkenntnis:

Fakten sind nur Fakten - Wünsche und Gefühle sind Realität

 

Und was bedeutet das nun konkret für Sie?

  • Es ist schwierig, mit Fakten gegen Emotionen oder Ideologien anzukommen.
  • Seien Sie nicht allzu optimistisch, Dritte mit Fakten oder Beweisen zur Änderung ihres bisherigen Standpunktes bewegen zu können.
  • Wenn Sie es versuchen, konzentrieren Sie sich auf einige wenige Fakten, die Sie kurz und knackig, am besten in Bildern erklären. Je komplizierter und umfänglicher Ihre Argumentation, desto unbequemer ist es für den anderen, sich darauf einzulassen.
  • Gerade wenn Sie ein sachorientierter Typ sind und gerne mit Fakten argumentieren, sollten Sie den Backfire-Effekt bei Ihren Gesprächspartnern erwarten. Ihr Gegenüber wird sich selbst gegen Ihre Argumente immunisieren.
  • Versuchen Sie, bei sich selbst Emotionen zu vermeiden und sich auf die Fakten zu konzentrieren. Auch wenn das schwierig ist.
  • Vermeiden Sie persönliche Angriffe. Trennen Sie Sachebene und persönliche Ebene.
  • Erweisen Sie Ihrem Gegenüber stets ein Mindestmaß an Respekt. Akzeptieren Sie auch andere Meinungen. Selbst wenn die Fakten dagegen sprechen.
  • Denken Sie nicht schon beim Zuhören an mögliche Gegenargumente. Hören Sie extrem konzentriert zu und versuchen Sie, der Gedankenführung und Logik Ihres Gegenübers zu folgen. Wenn Sie das nicht tun, kann es gut sein, dass Sie selber die Backfire-Pistole in der Hand halten.
  • Versuchen Sie zu verstehen, weshalb andere völlig gegensätzliche Meinungen vertreten. Einkommen oder sonstige materielle Anreize erklären dies häufig.
  • Akzeptieren Sie, dass eine veränderte Faktenlage bei Ihren Gesprächspartnern nicht zwangsläufig deren Sicht der Dinge verändern wird. Vor allem, wenn wiederum Fehlanreize das Beharren des status-quo begünstigt.

 

Nach diesem ganzen Backfire-Schusswechsel noch einen Klick und diesen Blogbeitrag weiterempfehlen. Und dann ein Hoch auf Pazifisten!

 

Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!

[1] FPVs sind Finanzprodukteverkäufer

 

Erschienen am 03. Juli 2020.

Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.

10 Gedanken zu „Der Backfire-Effekt – Wenn Fakten versagen“

  1. Ich war jahrelang ein erfolgreicher LEO. In den jungen Jahren wurde ich von der OvB (Iduna Nova usw.) bedient und beinahe auch von der DVAG. Bis vor kurzem war ich noch Fonds Inhaber. Seit der Nullzinsphase habe ich umfangreich über Anlagenmöglichkeiten recherchiert und mir ist online, wie offline viel Blödsinn begegnet. Nach dem ich die Literatur von Ihnen Herr Professor Walz entdeckt habe, wurden alle meine bisherigen Geldanlagen gekündigt und ich habe die nun meine Geldanlage selbst in die Hand genommen. Schluss mit Fehlentscheidungen in meinen Geldanlagen :)
    Besten Dank Herr Professor Walz

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    • Lieber André Hofmann, danke für die Blumen 😉
      Ganz offenbar haben Sie den Weg zum mündigen Selbstentscheider – trotz einiger Hürden – geschafft. Lassen Sie uns beide bescheiden bleiben, klug streuen, auf Transparenz und Kosten achten und die langfristige Ernte der internationalen Finanzmärkte mit möglichst wenig Verlusten „pflücken“.
      Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!

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  2. Leider erwische auch ich mich immer wieder dabei, indem ich Fehlentscheidungen bei der Geldanlage (Auswahl von Aktien) nachträglich versuche zu rechtfertigen. Ein Verkauf kommt dann erst mal nicht in Frage, denn dann müsste ich mir ja eingestehen, vorher eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Der Backfire-Effekt hat mich bisher also davor bewahrt, Millionär zu werden.

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    • Lieber Thomas Mayer, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich habe geschmunzelt und schließe mich Ihren Überlegungen weitgehend an. Würde aber das von Ihnen beschriebene eher als „Hindsight-Bias“ = Rückschaufehler interpretieren. Hierbei verfälschen wir unwissentlich und ohne es zu wollen unsere Erinnerung an Zusammenhänge, Argumente und Kausalitäten. (Lesetipp: Kapitel 24 in meinem Buch „Einfach genial entscheiden – Die 55 wichtigsten Erkenntnisse für Ihren Erfolg“.) 🙂
      Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!

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  3. Wieder eine Menge gelernt. Auch den Backfire-Gefährdeten Empathie in deren Finanzwunschwelt zeigen und eher Fragen stellen anstatt Argumente. Danke.

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  4. Super Anregungen und anschauliches Beispiel.

    Eine gute Prävention: Wirklich kritische Freunde, Partner, Mitarbeiter, und der professionelle Austausch mit Kollegen, oder Beratern, die den Mut haben uns immer wieder den Spiegel vor Augen zu halten. Steter Tropf wirkt – nicht immer, aber meistens.

    Herzliche Grüße, Monika Müller

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    • Liebe Monika Müller, vielen Dank! Und wohl dem, der dieses ehrlich-kritische Netzwerk hat 😉
      Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!

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    • Liebe Heike Dannenberg, danke für Ihr Feedback. Gerne gebe ich zu, dass auch ich zum „Backfire“ neige und täglich gegen diesen Reflex angehen muss. Aber Selbsterkenntnis ist ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung… 😉
      Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!

      Antworten
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Prof. Dr. Hartmut Walz
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