ARMER ANLEGER
Überteuerte Anlage- und Vorsorgevehikel
Mein Blogbeitrag vom vergangenen Freitag, 06. Sept. 2019 war ein Paukenschlag. Die Reaktionen darauf waren überwältigend.
Es gab viele – geradezu entsetzte – Kommentare von vormals Unwissenden. Und auch viele detailreiche Erfahrungsberichte von Betroffenen.
Lesen Sie gerne einfach nochmal hier nach: Strukkis an Hochschulen – Wie Finanzvertriebe unsere Kinder ködern
Und wenn Sie bedenken, dass auf einen offiziellen Kommentar etliche diskrete Emails kommen. Und wir auch so einige emotional entgleiste und verbal-militante Aussagen von meist übel betroffenen Strukki-Opfern nicht veröffentlichen konnten. Dann können Sie sich vorstellen, wie hier die Leitungen „glühten“.
Daher hier nochmals der höfliche Appell:
Wann immer möglich, schreiben Sie bitte einen Kommentar im Hartmut Walz Finanzblog (notfalls eben ohne Klarnamen). Und nur bei ganz diskreten Inhalten eine persönliche Email.
Auf Kommentare gebe ich möglichst eine Rückmeldung. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich aber nicht auf jede Email persönlich antworten kann. Bin doch „nebenbei“ noch Prof… 😉
Soviel vorab. Nun zum Thema.
Eine vielfach gestellte Frage der letzten Tage war: Sind die von den Finanzstrukturvertrieben vermittelten langfristigen Vorsorge- und Versicherungsverträge wirklich so schlecht?
Oder ist es eher ein Sturm im Wasserglas? Mit anderen Worten: Wie viel Geld verlieren die gutgläubigen Studierenden mit einem typischen „Strukki-Vertrag“ gegenüber einem vorbildlichen, da kostenoptimierten Vertrag denn tatsächlich? Ist das wirklich so schlimm und die Aufregung wert?
Ja, es ist schlimm und die Aufregung wert!
Zu einer ersten überschlägigen Beantwortung lege ich die Daten eines ehemaligen Tecis-Mitarbeiters zugrunde, der mir freundlicher Weise auf den letzten Blogbeitrag einen Kommentar geschrieben hat und von seinen zwei selbst über Tecis abgeschlossenen Verträgen berichtete.
Nachfolgend Auszüge aus dem Originaltext seines Kommentars vom 07.Sept. 2019:
„Während dieser Zeit habe ich natürlich auch 2 Verträge selbst abgeschlossen betreffend meiner Altersvorsorge:
– Rentenversicherung (wenigstens stecken selbst ausgewählte ETFs dahinter)
– Altersorvorge + BU (Kombiprodukt suboptimal und leider ausschließlich aktive Aktienfonds zur Auswahl – danke für nichts Gothaer..)
Ich weiß, dass die Verträge nicht ideal sind. Heute würde ich sie so sicher nicht abschließen. Jedoch meine ich, dass sie nicht so ganz schlimm sind wie vielleicht andere. Kündigen ist schwierig, da gerade in den ersten 5 Jahren enorme Kosten mit den Verträgen verbunden sind (ich weiß Sunk Cost). Wie treffe ich hier die beste Entscheidung – laufen lassen, beitragsfrei stellen oder kündigen? Immerhin habe ich die Dynamik rausgenommen und es sind keine allzu großen monatlichen Beträge (~100€).“
Soweit der Kommentar des ehemaligen Studierenden und Ex-Tecis-Mitarbeiters, der sich „Tim“ nennt.
Meine Antwort – kurz und knackig
Das Herausnehmen der Dynamik war ganz sicher eine richtige Entscheidung, da für jede Vertragserhöhung durch Dynamik weitere Abschluss- und Vertriebskosten anfallen würden. Dies hat Tim also gut gemacht. Aber das war nur der einfache Teil.
Die von ihm beklagten „enormen Kosten“ der ersten fünf Jahre sind – ganz entgegen seiner Auffassung – noch nicht völlig versunken. Denn Tecis darf diese in den ersten fünf Jahren je nur zu je einem Fünftel belasten. So dass z. B. nach zwei Jahren immerhin noch die restlichen 3/5 nicht versunken wären. Und Tim diese Kosten anteilig somit noch retten könnte.
Meine Tecis-Wette
Jedoch wette ich – seriöse Gegenangebote vorausgesetzt – dass die Tecis-Verträge auch langfristig höchst unvorteilhaft sind. Wenn die hohen Vertriebskosten der ersten fünf Jahre als verloren (also als versunkene Kosten) betrachtet werden.
Meine Zuversicht, diese Wette zu gewinnen, beruht einfach auf den in der Zukunft noch weiterhin anfallenden Kosten. Und der schlechten zu erwartenden Rendite der Verträge für die noch ausstehende Zukunft.
Die Vertriebs- und Abschlusskosten sind nämlich bei weitem nicht der einzige Kostenblock.
Und die Höhe der anderen Kostenarten
- Verwaltungskosten,
- fixe Verwaltungskosten,
- Kosten der Kapitalanlage des Versicherers,
- Kosten der Kapitalanlage in den Investmentprodukten selbst,
- zusätzliche Depotkosten etc.
werden die vom Ex-Tecis Tim genannten, bereits versunkenen Vertriebs- und Abschlusskosten bei weitem übersteigen.
Wenn Tecis die Tarifwerke und Kosteninformationen der beiden von Tim genannten Verträge bereitstellt, rechne ich das gerne einmal auf Basis einer neutralen Beurteilungssoftware konkret vor.
Tims Verhalten, nämlich zu schreiben „danke für nichts Gothaer“ ist ebenso falsch wie auch verständlich.
Obwohl Tim schreibt, er habe die Problematik der versunkenen Kosten verstanden, sträubt er sich vor den Konsequenzen. Und gräbt das tiefe Loch (erlittene Verluste) nur umso tiefer.
Und bis er sich vielleicht in fünf oder zehn Jahren letztendlich doch mit der bitteren Realität auseinandersetzt und seine Verträge dann kündigt, wird das Loch durch weitere bis dahin zusätzlich versunkene Kosten noch erheblich tiefer sein.
Tims Entscheidung wird durch die versunkenen Kosten manipuliert – sein (falsches) Bauchgefühl sagt ihm: „Zu viel investiert, um auszuhören“.
Ich rufe Tim jedoch zu: Lieber Tim – heute ist der erste Tag vom Rest Ihres Lebens. Sie können historische Fehler nicht mehr verändern, jedoch können Sie ab heute das Beste aus Ihrer Situation machen.
Einem Finanzdienstleister nach „schlechtem Geld“ und „danke für nichts Gothaer“ nun noch gutes Geld hinterher zu werfen, würde aus einem kleinen LeO einen größeren machen.
In den nächsten Wochen greife ich die Thematik „unvorteilhafte, kostenintensive Verträge“ nochmals mit konkreten Beispielen auf Basis einer unabhängigen Analysesoftware von HonorarKonzept auf.
Gerne mache ich das mit den Verträgen von Tim – ansonsten auf Basis anderer – mir bereits vorliegender – Versicherungs- und Vorsorgeverträge.
Für heute allerbeste Grüße, vor allem an Tim.
Und allen einen wackeren unmanipulierten Blick auf die Altverträge.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 13. September 2019.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Sehr geehrter Herr Walz, ich selbst scheine ja dann schon sehr „tief im Kostenloch“ zu stecken. Sch… schon schade. Für meine beiden Kinder im Studieralter würden mich aber ein paar konkrete Zahlenbeispiele interessieren. Könnten Sie da mal was vergleichen? Da wäre ich sehr dankbar.
Viele Grüße aus dem hohen Norden!
Elisabeth
Liebe Elisabeth, die Sache mit dem Kostenloch ist ärgerlich – aber die Prüfung wert, ob schlechtem Geld noch gutes Geld hinterher geworfen werden soll! Zahlenbeispiele zum Beispiel zu Vorsorgeverträgen liegen mir natürlich schon vor. mal sehen, ob ich da nicht tatsächlich in den nächsten Wochen konkreter werde… 😉
Beachtlich sind solche Vergleiche allemal.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Um Gottes Willen, diese Geschäftspraktiken sind ja haarsträubend! Schlafen denn die Hochschulverantwortlichen?? Oder schlimmeres????
Liebe Frau Jost, das schlimmere ist wohl eher leider wahrscheinlich – denn die Praktiken der Finanzstrukturvertriebler an den Hochschulen sind offensichtlich – und es fließen Gelder…
Vielleicht machen Sie (und andere) sich ja die Mühe und informieren die Presse – lokal, überregional, egal – Hauptsache wir erreichen ein Bewusstsein unter den potentiellen LeOs!
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Das Problem bei BU mit z.B Rürup ist, dass ein Ausstieg nicht möglich ist, wenn eine andere Gesellschaft einem keine BU mehr anbietet. Gerade bei HD Leben ist das dann ein saurer Apfel: Teure oder keine BU?
Lieber Marco, danke für diese Facette zum Thema. Ich versuche derzeit, genau zu dem Thema eine/n Fachfrau/Fachmann hier im Hartmut Walz Finanzblog zu Wort kommen zu lassen…
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Hallo Herr Prof. Walz,
zu Recht schlägt Ihr Beitrag über die Strukkis an Hochschulen hohe Wellen, insbesondere wegen der enormen Detailtiefe über deren Verkaufs- und Marketingaktivitäten. Aber auch das ausführlich dargestellte Verhalten der Hochschulen passt leider ebenso zum zweifelhaften Gesamterfolg der Strukkis. „Money makes the world go round!“
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die Strukkis brechen (nicht ganz Ernst gemeint), denn deren Marketing- und Vertriebsaktivitäten sind trotz allem wirklich bemerkenswert und verdienen in gewisser Weise durchaus Respekt. Leider werden ausschließlich die falschen und viel zu teuren Produkte hier vermarktet. Aber stellen wir uns doch einmal vor, die richtigen Produkte z.B. kostengünstige ETFs werden auf diese Art und Weise an die Frau oder den Mann gebracht, die Welt der Nachwuchsanleger würde wahrscheinlich besser und aufgeklärter sein. Mehr Aufklärung über Geld- und Anlagethemen ist dringend geboten. Das Problem mit der Aufklärung über Finanzblogs, Bücher und Vorträge ist eben auch, dass es nur indirekt und mittelbar wirkt. Das (un)mittelbare, emotinale und persönliche Verkaufen wirkt aber sofort.
Bleibt daher zu hoffen, dass neben der vielfältigen Aufklärungsarbeit in Geld- und Finanzdingen die „Richtigen“ ihre Marketingaktivitäten an den Hochschulen entfalten und die Strukkis verdrängen. Wäre vielleicht mal eine Überlegung wert.
Herzliche Grüße
DJ
Lieber Detlef J., oh ja, das wäre wunderbar: die Strukkis aus den Hochschulen verdrängen und durch ethisch, moralisch, fachlich-kompetente, faire Berater ersetzen, die diese Bezeichnung verdienen. Das wär´s! Und die Azubis und Schüler lassen wir auch davon profitieren. Mir ist klar, dass das eine gute Vision ist, für die ich mich gerne engagiere. Mir ist jedoch genauso klar, dass es ein weiter Weg bis dahin ist. Die Lobby der FPVs ist groß und finanzstark. Und die jungen Leute sind sehr empfänglich für „Gratis-Angebote“… Aufklärung tut not! Und zwar massiv.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Lieber Herr Professor Walz,
ich danke Ihnen, dass Sie Ihr in langen Jahren zusammengetragenes umfangreiches Fachwissen aus Branchen-Berufstätigkeit und Lehre in dieser Form und kostenfrei der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.
Nicht umsonst hat sich in Struktur-Vertriebskreisen z.B. der Begriff „Ärzte-Abzocke“ für die manchmal zu große Vertrauensseligkeit einer ganzen Berufsgruppe herausgebildet, die sich aus ihrem Selbstverständnis heraus mit der Hilfe für andere Menschen beschäftigen und daher nicht zwingend erwarten, dass sich vermeintliche Hilfs-Angebote von Vermittlern als das Gegenteil erweisen.
Bitte bleiben Sie weiterhin aktiv.
Viele Grüße, A.L.
Lieber Andreas, das ist noch mal ein sehr wichtiger Gedanke, den Sie hier mit einbringen. Dass Ärzte aufgrund ihres eigenen Ethos davon ausgehen, wer hilft (sprich „berät“), es mit Wohlwollen und gutem Gewissen tut. Ärzte können sich aus Ihrem eigenen Pflichtgefühl heraus oft gar nicht vorstellen, dass jemand, der hilft, es nicht gut mit dem anderen Menschen meinen könnte. Deshalb sind Ärzte oft leichte LeOs! Vielen Dank für diese leider sehr wahre Überlegung.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Sehr geehrter Herr Professor Walz, da ich einen relativ guten Job habe, wollte ich mich für mein Alter absichern. Ich hatte vor etwa 2 Jahren einen Termin bei einem MLP-Berater. Er empfahl mir einen Rentenfond, der teilweise auch an die Börse gehen sollte (Allianz Select100). Als ich dem Berater sagte, dass man mir aber von Fondpolicen abgeraten hat und ich lieber ein simples Portfolio mit ETF anlegen soll. Meinte er, … ,,wenn ich alles verlieren will, sehr gerne, eröffnen Sie ein Depot…,, Ohne Worte, oder?
Liebe/r Richie, danke für Ihren Erlebnisbericht. Als Nicht-LeO wissen Sie offensichtlich, was Sie von der Meinung des MLP-„Beraters“ zu halten hatten 😉
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!