NACHHALTIGKEIT IN DER KAPITALANLAGE
Leichter gesagt als getan
Nachhaltige Geldanlage ist in aller Munde. Klimaschutz, CO2-Ausstoß, Konsum, Wachstum, Ressourcen-Schonung, Generationengerechtigkeit, Greta, Eisberg, Plastik… Viele wollen da auch ihr Geld nachhaltig anlegen.
Die mediale Aufmerksamkeit für nachhaltiges Investieren ist enorm und hat in jüngster Vergangenheit einen regelrechten Hype ausgelöst. Daher muss man derzeit sehr aufpassen, ob hinter den Versprechungen auch wirklich das vom Anleger gewünscht Nachhaltige steckt.
Was ist nachhaltig?
Für den einen ist die Abholzung des Regenwaldes unerträglich. Für den anderen der Kohleabbau vor der eigenen Haustür. Die nächste rettet die Bienen. Andere warnen insgesamt vor dem Artensterben. Viele essen keine Tiere. Für die meisten sind zumindest menschenverachtende und unwürdige Arbeitsbedingungen inakzeptabel.
Es gibt keine allgemein verbindlichen Maßstäbe, was nachhaltig ist. Oder wann ein Unternehmen in diesem Sinne nachhaltig agiert. Auch deshalb ist nachhaltiges Investieren so schwierig.
ESG, SRI usw.
Einen Hinweis (mehr aber auch nicht) geben die englischsprachigen Kürzel für die international gebräuchlichen Kriterien für Nachhaltigkeit. Diese lauten: ESG sowie SRI.
ESG steht für Environmental, Social, Governance, also Umweltschutz, soziales Verhalten / faire Arbeitsbedingungen sowie transparente Unternehmensführung.
SRI steht für Socially Responsible Investment (auch: Sustainable Responsible Investment), also nachhaltiges und verantwortungsvolles Anlegen.
Kein gesellschaftlicher Konsens
Das Problem bleibt: Es ist unglaublich schwierig, einen gemeinsamen Konsens zur einheitlichen Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen zu finden.
Auf die verschiedenen Ansätze zur Auswahl nachhaltiger Anlagen (Best-in-Class, Best-of-Class, Negativausschluss, Positivauswahl usw.) soll erst in einem späteren Blogbeitrag eingegangen werden.
Es bleibt nämlich – ganz ungeachtet vom gewählten Ansatz – die grundlegende Frage, ob und unter welchen Bedingungen durch Kapitalanlage überhaupt eine Nachhaltigkeitswirkung erreicht werden kann.
Können wir mit der Auswahl von Geldanlagen wirklich Nachhaltigkeit fördern? Oder sitzen wir nur jemandem auf, der uns ein gutes Gefühl geben möchte? Das Phänomen Greenwashing ist hier nur der erste von mehreren wunden Punkten.
Greenwashing
Greenwashing nennt man kurz gesagt Maßnahmen, die bewirken sollen, ein Unternehmen, Produkt oder Handeln als besonders umweltfreundlich und verantwortungsbewusst erscheinen zu lassen.
Auf die Geldanlage bezogen betrifft dies Anbieter, die unter dem grünen Anstrich gar nicht so nachhaltige Finanzprodukte verkaufen wollen. Hier herrscht eher grüner Schein, als grünes Sein.
Der kritische Umgang mit vielfältigen Erscheinungsformen des Greenwashing soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Nur ein typisches Beispiel:
Das gute Gefühl
Bei vielen Anlageprodukten auf denen „Nachhaltigkeit“ draufsteht, ist noch lange keine Nachhaltigkeit drin“. Licht und Schatten liegen eng bei einander.
Während regionales, dezentrales Handeln gut überprüfbar ist, lässt sich die Wirksamkeit (angeblich) nachhaltiger Anlagen auf den globalen Börsenmärkten sehr schlecht bewerten.
Beispiel: Wer aus Nachhaltigkeitsdenken heraus eine eigene Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach anbringen lässt oder sein Dachablaufwasser in eine neu installierte Regenzisterne statt, wie bisher, in die Kanalisation leitet, leistet ganz sicher einen Nachhaltigkeitsbeitrag.
Gefährlich wird es jedoch schon bei „grün angestrichenen“ geschlossenen Fonds, bei denen häufig die Initiatoren hohe Gewinne mit ökologisch zum Teil fragwürdigen Projekten verdienen. Und wohlmeinende Anleger erhebliche Risiken mit schlechter Rendite kombinieren.
Hier besteht die Gefahr, dass der gute Wille und das „grüne Herz“ von Anlegern ausgenutzt und diese anschließend über den Tisch gezogen werden.
Nachhaltigkeitsbeitrag durch Investments auf den Kapitalmärkten?
Ich möchte hier grundsätzlich in Frage stellen, ob Privatanleger mit ausgewählten Investments auf den Kapitalmärkten (also z. B. Aktien, Anleihen oder börsengehandelten Fonds oder ETFs) tatsächlich einen Nachhaltigkeitsbeitrag leisten können.
Anleger, die mittels dieser Produkte auf den Finanzmärkten nachhaltig investieren, gehen von der Annahme aus, dass sie hierdurch einen Wettbewerbsvorteil nachhaltig arbeitender Unternehmen auf den Finanzmärkten bewirken. Doch ist das wirklich so?
Bild der kommunizierenden Röhren
Das nachstehende Bild der kommunizierenden Röhren zeigt, dass es wahrscheinlich gerade nichts bewirkt, wenn ein Teil der Anleger Geld verstärkt in ESG-Unternehmen lenkt, während andere vielleicht genau gegenteilig handeln – um erhoffte Mehrrenditen von den nicht nachhaltigen Unternehmen “abzupflücken“.
Wirkung und Gegenwirkung: Nachhaltiges Investieren verfolgt also das Ziel, durch die Lenkung von Kapitalströmen in Richtung auf bestimmte (nachhaltige) Unternehmen, deren Finanzierungskosten zu senken. Als Wirkung müssten die Finanzierungskosten der nicht nachhaltigen Unternehmen im Gegenzug ansteigen.
Auf effizienten Finanzmärkten wird jedoch selbst bei geringen Renditedifferenzen eine sofortige Gegenreaktion einsetzen, die die angestrebte Wirkung gerade wieder aufhebt.
Dies ist keineswegs eine theoretische Überlegung. Wenn man nur die Begriffe „Sündenfonds“ oder „Vice-Fund“ recherchiert, sieht man, wie mit der erhofften Mehrrendite von gerade nicht nachhaltigen Unternehmen geworben wird.
Stellen Sie sich vor, dass die große Röhre links von Investoren befüllt wird, die keine speziellen Nachhaltigkeitsziele verfolgen und in einen weltweit streuenden ETF investieren.
In die schlangenförmige Röhre investieren die Gegner von Waffenfirmen.
In die kugelige Röhre investieren die Gegner von Alkohol, auch Bier.
In die rechte Röhre diejenigen, die den CO2-Ausstoß senken wollen.
Interessanterweise haben die bayerischen Waffengegner aber nichts gegen Bier. Umgekehrt kümmern texanische SUV-Fahrer weder Waffen noch CO2, aber Alkohol geht für sie gar nicht.
Es ist leider sehr ernüchternd, wenn man sich die Auswirkungen der individuellen Nachhaltigkeitsbemühungen auf die Pegelstände in den kommunizierenden Röhren insgesamt vorstellt.
Das Bild der kommunizierenden Röhren verdeutlicht bildhaft nur den Effekt, den Nobelpreisträger – allen voran Eugene F. Fama – mit der Effizienzmarktthese veröffentlicht haben.
Ergebnis: Das freie Spiel der Kräfte auf nicht regulierten, effizienten Märkten funktioniert (und das ist grundsätzlich auch gut so).
Effizienzmarktthese und Ethik
Renditedifferenzen, die nicht durch unterschiedliche Risiken begründet sind, werden vom Markt in kürzester Zeit durch Ausgleichsgeschäfte = Arbitrage beseitigt. Das „Wegarbitrieren“ solcher Differenzen entspricht dem Ausgleich der „Pegelstände“ in den verschiedenen Röhren.
Nun könnte man einwenden, dass ein paar „Sündenfonds“ den segensreichen Effekt der nachhaltig ausgerichteten Kapitalströme doch wohl nicht wesentlich verwässern werden.
Man sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, dass auch die Manager großer Hedgefonds keinerlei Rechenschaft darüber ablegen müssen, wo und wie sie die ihnen überlassenen Mittel investieren. Und sie sind nicht gerade für Zimperlichkeit oder ausgeprägtes ethisches Verhalten bekannt.
Sondern sie haben schon gegen ganze Währungen und Volkswirtschaften gewettet, sich mit Regierungen angelegt, an Unternehmen „angeschlichen“ und eine Menge anderer halbseidener Techniken angewandt.
Und oftmals einen volkswirtschaftlichen Kollateralschaden angerichtet, der um ein Vielfaches höher war, als die „paar Milliarden“ die die Hedgefonds an der Operation verdienten.
Auch Manager von „ganz normalen“ aktiven Investmentfonds werden versuchen, die Mehrrendite von nicht nachhaltigen Unternehmen abzugreifen, indem sie diese etwas stärker in ihrem Portfolio gewichten. Schließlich stehen sie ja ständig unter dem Druck, ein „Alpha“ zu generieren…
Ernüchternd
Ich fürchte, dass der Versuch, nachhaltiges Tun über die weltweiten Börsenmärkte zu fördern, ein wenig aussichtsreiches Unterfangen ist.
Zumindest unter den gegenwärtigen Verhältnissen von Regulierung bzw. Nicht-Regulierung der globalen Finanzmärkte. So lange ein Waffenhersteller seine Waffen verkauft und ein Tabakunternehmen seine Zigaretten, werden sich leider immer genügend Marktteilnehmer finden, die das finanzieren.
Der Verbraucher hat die Macht
Viel effizienter ist es meines Erachtens, auf der güterwirtschaftlichen Seite, also der Kunden bzw. Nachfrager nach Produkten und Dienstleistungen anzusetzen.
Denn wenn die Nachfrage nach ökologisch bedenklichen Produkten und Dienstleistungen stark zurückgeht oder sogar zusammenbricht, werden Investoren auch keine Finanzierungsmittel mehr bereitstellen.
Auch gut abgestimmte gesetzliche Maßnahmen wie Verbote, verbindliche Mindeststandards usw. halte ich für erheblich wirkungsvoller als Investments in (angeblich) nachhaltige Investmentvehikel der globalen Finanzmärkte.
Umgekehrt führen Experten die hohe Insolvenz- und Scheiterquote von (offenbar schlecht gemanagten) Projekten und Start-ups mit postuliertem Nachhaltigkeitsanspruch darauf zurück, dass es einen regelrechten Liquiditätsdruck bei nachhaltigen Anlageprodukten gäbe.
Offenbar steht (zu) viel Geld bereit, um in alles Mögliche zu investieren, was irgendwie „grün“ aussieht.
Ausblick
Trotz dieser grundlegenden Bedenken gegen gut gemeintes, aber wahrscheinlich wenig wirksames Handeln wird nachhaltiges Sparen und Investieren wahrscheinlich in den nächsten Jahren ein Thema von großem Interesse bleiben.
Denn allein die Tatsache, dass der Nachhaltigkeitsgedanke auch beim Anlegen im Bewusstsein großer Bevölkerungsteile angekommen ist, trägt langfristig die Chance für einen Wandel zum Besseren.
Vielleicht mit anderen Vehikeln. Vielleicht auch mit besseren Prozessen zur Auswahl. Und ganz gezielter Förderung von Einzelprojekten mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch. Und sicherlich hilft auch ein gesetzlicher Rahmen, der nachhaltigem Handeln höhere Priorität einräumt.
Und was bedeutet das nun konkret für Sie?
- Kaufen und konsumieren Sie nachhaltig – damit erreichen Sie ganz sicher eine Wirkung.
- Nachhaltigkeit beginnt vor der eigenen Haustüre. Wenn Sie konkrete Sachinvestments mit positiver Ökobilanz (Stromerzeugung für den Eigenverbrauch, Zisterne usw.) vornehmen können, dann ist das fraglos gut.
- Gleiches gilt für regionale Nachhaltigkeitsprojekte, soweit Sie die Seriosität der Initiatoren einschätzen können und das Projektmanagement professionell durchgeführt wird (Sachverstand lässt sich auch bei Nachhaltigkeitsprojekten nicht ganz durch guten Willen ersetzen).
- Hüten Sie sich vor kommerziellen geschlossenen Fonds, die grün angestrichen sind. Hier ist nicht nur deren Nachhaltigkeitsanspruch fraglich. Im grünen Gewande werden aktuell viele Vehikel angepriesen, die hohe versteckte Kosten aufweisen und ein extrem schlechtes Ertrags-Risikoverhältnis aufweisen. Im Übrigen rate ich ja grundsätzlich von geschlossenen Fonds ab.
- Ob selektives Investieren auf Basis von Nachhaltigkeitskriterien auf globalen Finanzmärkten eine Wirkung hat, muss stark bezweifelt werden (siehe Bild der kommunizierenden Röhren).
Ich bitte um konstruktives Feedback
Liebe BlogleserInnen, ich hoffe, dass ich mit dem Röhrenbild falsch liege. Dann müsste aber Eugene F. Fama auch seinen Nobelpreis wieder abgeben… 😉
Und bitte um konstruktives Feedback, positive Beispiele von nachhaltigen, fairen, kostenarmen Anlagevehikeln ohne Greenwashing. Sie sind hochwillkommen!
Lassen Sie uns die Nachhaltigkeitsdebatte einfallsreich und nutzbringend weiterführen.
Wahrscheinlich wird der Hartmut Walz Finanzblog in Zukunft das Nachhaltigkeitsthema immer wieder aufnehmen.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 27. September 2019.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Guten Tag Herr Walz,
ich kann Ihnen grundsätzlich (leider) nur zustimmen. Beachtet werden muss, dass es in Realität keine effizienten Märkte gibt. Aus diesem Grund müssen die Röhren auch nicht unbedingt ausgeglichen sein (Zumindest zu jedem Zeitpunkt).
Aber das nur am Rande – Viel wichtiger ist doch die Frage, ob man es moralisch und ethisch vertreten kann, an Unternehmen wie H&K, Rheinmetall, Nestlé oder Shell Miteigentümer zu sein. Oder anders gefragt: Wie viel ist dem Individuum das Leid anderer Individuen wert?
Gerne wird auf den großen, bösen Unternehmen rumgehackt, aber die Blutdividende streicht man dann doch gerne ein. Beruhigend, dass man nicht selbst den Abzug durchziehen muss.
Anders herum könnte man wie Sie behaupten: Wenn ich das Geld nicht nehme, nimmt es jemand anderes! Aber wird die Sache dadurch besser? Wenn wir die Leute im Park nicht überfallen, werden sie nur von irgendjemand anderem überfallen – Logisch, nicht?
Ich bleibe bei den Unternehmen, die nicht die schwärzeste aller Seelen haben – Ausgeschlossen sind z.B. Waffenhersteller und u.a. die sonstigen oben genannten Unternehmen.
Meine aufrichtigsten Grüße
Till
Lieber Till, vielen Dank für Ihren Kommentar.
Wissen Sie – emotional bin ich völlig bei Ihnen. Und auch ich bin der Meinung, dass wir dringend mehr Nachhaltigkeit benötigen. Was ich aufzeige, ist lediglich die Tatsache, dass gut gemeint eben oftmals nicht gut gemacht ist. Und leider scheint mein Bild mit den kommunizierenden Röhren die aktuell bestehenden Verhältnisse auf den Kapitalmärkten korrekt widerzuspiegeln, wie mir auch viele Fachgespräche und individuelle Reaktionen zeigen.
Ihr Bild mit den “Leute im Park überfallen” empfinde ich hingegen nicht als fair oder zutreffend. Denn ich habe keineswegs dazu geraten, die Aktien von unethischen Unternehmen, insbesondere Waffenherstellern zu erwerben, um eine Blutdividende zu kassieren. Jedoch halte ich es für extrem ineffizient, wenn ich sinnvolles Risikomanagement durch breite Streuung aufgebe, um z. B. ganz normale Produktionsunternehmen zu “bestrafen”, während ich gleichzeitig deren Produkte erwerbe. Und dies nicht aus Luxus- oder Prestigekonsum, sondern weil ich die Produkte zum “normalen” Leben benötige. Auch mein Fahrrad ist lackiert und fährt auf Gummireifen…
Lieber Till, lassen Sie uns respektvoll über das Thema weiterdenken – Emotionen und vordergründiges “Gutmenschentum” werden uns dabei jedoch nicht voranbringen.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!