GASTBEITRAG GABRIEL HOPMEIER, FREIBURG
Vorsicht Falle: Angebot vs. Nachfrage, nicht Honorar vs. Provision
Bei Finanzdienstleistungen denken die Deutschen leider nicht in den Kategorien Verkauf und Einkauf. Das wäre aber gut. Denn hier liegt der Unterschied zwischen produktorientiertem Verkäufer und kundenorientiertem (Einkaufs-)Berater.
Verkauf vs. Einkauf – Verkaufshelfer vs. Einkaufshelfer
Gehen Sie zu einem „unabhängigen“ Autohändler ist Ihnen klar, dass Sie sich auf ein Verkaufsgespräch einlassen.
Der Händler bietet Ihnen verschiedene Fahrzeugmarken und Modelle an – Sie fragen eines nach, welches Ihren Vorstellungen von Preis und Leistung entspricht. Werden Sie nicht handelseinig, ziehen Sie zum nächsten „unabhängigen“ Autohändler weiter.
Würde die Bundesregierung regulieren, dass „unabhängige“ Autohändler ihre Fahrzeuge nur noch zum Einkaufspreis abgeben dürfen und für ihre „Beratung“ ein „Honorar“ verlangen müssten, würde das nichts ändern. Verkauf bleibt Verkauf. Die Entlohnung des „unabhängigen” Autohändlers bleibt an das Produkt „Auto” gekoppelt. Es wird keine anspruchsvolle „Mobilitätsberatung” daraus.
Wie auf jedem anderen Markt treffen auf dem Finanzmarkt Angebot und Nachfrage zusammen, ohne dass es in Deutschland eine nachfrageseitige (einkaufseitige) Regulierung gäbe.
Kammeraufsicht im Finanzdienstleistungsmarkt wäre nötig
Rechtsanwälte und Steuerberater sind in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert, werden von dieser ernannt, beaufsichtigt und können ihren Beruf nicht mehr ausüben, wenn die Kammeraufsicht zum Beispiel feststellt, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit gefährdet ist.
Finanzdienstleister werden durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) oder eine Industrie- und Handelskammer (IHK) beaufsichtigt. Die Berufsanforderungen der Aufsichtsbehörden fallen im Vergleich zu den Kammern weit geringer aus und enthalten auch keine ethischen und qualitativen Auflagen an die Rahmenbedingungen einer einkaufsseitigen Beratung.
Honorar, Preis oder Provision?
In der Regulierung deutscher Finanzmärkte werden die Bezahlung von „Honoraren“ und die einkaufsseitige Beratung in der Regel gleichgesetzt, unter dem Oberbegriff „Honorarberatung“ zusammengefasst und auch mit „Unabhängigkeit“ in Verbindung gebracht.
Berater vermitteln keine Produkte.
Ähnlich wie Rechtsanwälte und Steuerberater sollten Honorarberater klar nachfrageseitig reguliert sein und nicht für eine Produktvermittlung entlohnt werden. Ihre vielseitig hohen Anforderungen sollten sie durch die Mitgliedschaft in einer Kammer des öffentlichen Rechts dokumentieren (bei deren Ausschluss sie ihren Beruf nicht mehr ausüben könnten) und ihre Qualität ausschließlich gegen Bezahlung und unbefangen im Interesse eines Auftraggeber einsetzen dürfen.
Produkte sollten nicht im Mittelpunkt stehen.
Von Persönlichkeit und Tätigkeit her ähneln sich nachfrageseitig positionierte Honorarberater einerseits und Einkäufer in Industrie- und Handelsunternehmen andererseits sehr. Mit Transparenz, Vereinfachung und Prozessoptimierung verfolgen sie ähnliche Ziele. Sie werden ausschließlich von ihren Auftraggebern und in der Regel pauschal bezahlt. Wenn Produkte überhaupt notwendig werden, erfolgt ihr Erwerb bedarfsgerecht, minimalistisch und im Rahmen einer genau definierten Qualität möglichst kostengünstig.
„Vermitteln“ ist die Tätigkeit von Händlern.
Händler sind „unabhängig“ von einzelnen Produktanbietern, nicht aber von deren Bezahlung. Sind Händler abhängig von einem einzigen Produktanbieter, sind es Verkäufer.
Produkte stehen im Verkauf immer im Zentrum des Interesses.
Erfolgreiche Händler und Verkäufer strahlen eine ganz andere Persönlichkeit aus als erfolgreiche Einkäufer, sie verfolgen andere Ziele, werden stark erfolgsorientiert und in der Regel mit hohem Provisionsanteil entlohnt.
Mir ist keine andere Branche bekannt, in der die Bundesregierung versucht, durch eine direkte Bezahlung an Händler und Verkäufer eine „Honorarberatung“ zu fingieren. Hier sollte man eher von preisorientiertem Verkauf reden.
Händler und Verkäufer vertreten keineswegs ausschließlich Ihre Interessen.
Raten Händler und Verkäufer Ihnen von einem Produkteinkauf ab, verdienen sie nichts. Natürlich verdient dann auch der Staat nichts. Die Umsatz- und Gewerbesteuereinnahmen fallen und vieles andere damit auch.
Idee des „Kammer-Honorarberaters“
Derzeit dürfen sich Honorarberater (Versicherungsberater, Finanzanlagen-Honorarberater, Honorar-Immobiliardarlehensberater) aufgrund ihrer Regulierung als gewerbliche Verkäufer nicht in rechts- und steuerberatende Kanzleien integrieren.
Finanzplanung als übergreifendes Element über isolierte Produktschornsteine hinweg, wird überhaupt nicht reguliert. Ein „Kammer-Honorarberater“ könnte dies – und Verbraucher hätten damit Zugang zu umfassender, einkaufsseitiger Rechts-, Steuer- und Finanzberatung. Dies wäre ein starkes Gegengewicht zur Professionalität und Verhandlungsstärke im Finanzproduktevertrieb und gäbe interessierten Verbrauchern leichten Zugang zu qualitativ hochwertiger, nachfrageseitiger Einkaufsberatung.
[Interesse geweckt? mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Gutachten vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages
Was nehmen Sie als Verbraucher aus dieser Perspektive mit?
Wenn Sie Ihre finanziellen Bedürfnisse selbst definieren und verhandlungsstark vertreten können, lassen Sie sich einfach auf Verkaufsverhandlungen mit einem Bank- oder Versicherungskaufmann ein. Daran ist nichts Schlimmes. In der Graphik hier unten finden Sie Händler und Verkäufer auf der rechten Seite aufgelistet. Die Grenzen sind fließend.
Wenn Sie ein Verkaufsgespräch umgehen wollen, bieten mittlerweile viele gute Direktbanken und –versicherungen ihre Algorithmen an.
Suchen Sie eher nach einkaufseitiger Unterstützung in der Festlegung eines Anforderungskatalogs, in dessen Priorisierung und als Hilfe für Verkaufsverhandlungen, dann stellt sich für Sie der Markt für einkaufsorientierte Honorarberatung wie hier im linken Bereich dar:
Versagt Regulierung, indem sie nur noch einseitig Industrieinteressen verfolgt, ist das mit viel Aufwand für Sie als Verbraucher verbunden. Wie immer, wenn es um viel geht, lohnt es sich aber für Sie, diesen Aufwand zu betreiben. Dabei sollten Sie nicht nur auf Honorarberatung Wert legen, sondern insbesondere auch ein nachfrageseitiges Beratungskonzept Ihres Beraters im Einkauf.
Bereiten Sie sich auf so ein Gespräch vor. Das Internet, die digitalen Medien, Zeitschriften und Fachliteratur sind heutzutage leicht zugänglich, gewähren Ihnen Zugang zu vielen Informationen, auch vielen Fehlinformationen, und bilden immer eine gute erste Diskussionsgrundlage mit einem potentiellen Berater.
Wenn Sie über einfache finanzielle Strukturen verfügen, bieten viele Verbraucherzentralen der Bundesländer ausreichende einkaufsseitige Beratungen an. Am anderen Ende des Vermögensspektrums, wenn Sie sehr reich sind, dann stellen Sie sich Ihren eigenen Finanzplaner als abhängig beschäftigten Mitarbeiter ein. Die- oder derjenige kann Sie bei der Verwaltung Ihrer gesamten Vermögenswerte unterstützen. Man nennt so eine Einrichtung ein „Single Family Office“. Paradoxerweise werden diese beiden Institutionen weder rechtlich reguliert noch beaufsichtigt.
Selbst ist der Verbraucher!
Fallen Sie zwischen diese beiden Extreme und wenn sich ihr Steuer- oder Rechtsberater bei Finanzfragen weise zurückhält, dann suchen Sie im Internet, je nach Grundbedarf, nach Honorar-Anlageberatern (§ 94 WpHG), nach Honorar-Finanzanlageberatern (§ 34 h GewO), Versicherungsberatern (§ 34 d [2] GewO) und auch Honorar-Immobiliardarlehensberatern (§ 34 i [5] GewO).
Eine Zusatzqualifikation wie z.B. ein CFP® oder LL.M. ist ein zusätzliches Plus. Insbesondere wenn diese Qualifikation mit einer Zentralprüfung, Weiterbildungsvorschriften und der Unterstellung unter eine Ehrengerichtsbarkeit einhergeht.
Sie finden diese über die Impressen auf den Websites aller Finanzberater. Im Impressum müssen Finanzberater angeben, welcher Regulierung sie unterliegen.
Lesen Sie die Websites und (Internet-)Publikationen von vier bis sechs dieser so ausgewählten nachfrageseitigen Berater. Unterhalten Sie sich telefonisch über Ihre individuellen, persönlichen finanziellen Themen mit den Beratern. Fragen, die mir zusätzlich immer wieder gestellt werden, lauten:
- Wie lange arbeiten Sie schon selbständig als Finanzberater?
- Wie viele private Mandate haben Sie schon beraten?
- Wozu beraten Sie genau?
- Woher stammt Ihre Arbeitserfahrung bevor Sie sich selbständig gemacht haben?
- Können Sie mir Ihr Risikomodell erklären?
- Wie genau läuft die Beratung ab?
- Wird volumenorientiert abgerechnet (z.B. 5% vom Anlagevolumen) oder nach Stundensatz (z.B. EUR 200/Stunde)?
- Werden Provisionen durchgereicht?
- Können Sie vorab verbindlich und schriftlich den Zeitaufwand und die Kosten benennen?
- Wie viele Umsetzungsvorschläge machen Sie mir?
- Wie wird die Beratung dokumentiert?
- Wie läuft eine spätere Umsetzung ab?
- Welchen Berufsverbänden gehören Sie an?
Stellen Sie sich jetzt vor, Sie seien Eigentümer eines Industrie- oder Handelsunternehmens. Fragen Sie sich am Ende, ob Sie als virtueller Firmenbesitzer diesen Berater/diese Beraterin eher in Ihrer Vertriebs- oder in Ihrer Einkaufsabteilung einstellen würden? Wie authentisch wirkt Ihr Gegenüber? Und zuletzt: entscheiden Sie nach dem Bauchgefühl.
Erschienen am 31.08. 2018.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Ein sehr guter Beitrag, der unzählige Parallelen in der betriebliche Altersversorgung (bAV) aufweist. Hier treffen rechtliche und finanzielle Beratung aufeinander. Hier sind außerdem vier von fünf Durchführungswegen versicherungsförmig und mit einer hohen Arbeitgeberhaftung verbunden. Historisch ist die bAV schon immer ein Verkäufermarkt gewesen, obwohl sie aus Risiko-, Haftungs- und Rechtberatungsaspekten des Arbeitgebers längst als Einkäufermarkt funktionieren müsste. Aber die Beratung war seit jeher über die Finanzdienstleistung kostenlos und nur wenige Arbeitgeber sind bereit, hier Honorare für unabhängige und rechtliche Beratung zu zahlen. Das wird sich stark ändern.
Die früher unvorstellbare Niedrigzinssituation bringt die Schwachstellen der Finanzsysteme gerade hier ungeschönt ans Licht. Die bAV wird nur eine Zukunft und Akzeptanz haben, wenn die Produkte und die Geldanlagen dahinter für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Finanzdienstleistung gut funktionieren und die unglaubliche rechtliche Komplexität auf politischer Ebene bereinigt wird.
Sehr geehrte Frau Dannenberg,
besten Dank auch für die Erweiterung meines Gedankenganges auf die betreibliche Altersvorsroge. Mit dem neuen Betriebsrenten(versicherer)stärkungsgesetzt [BRSG] hat Frau Nahles eine großartige Bewerbung für eine Führungsposition in der deutschen Versicherungswirtschaft für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl abgeliefert:
reine Beitragszusage (d.h. es dürfen keinerlei Garantien für die Altersvorsorge der Arbeitnehmer ausgesprochen werden),
keine Einstandpflicht des Arbeitgebers,
keine Anpassungsprüfpflicht des Arbeitgebers,
das Risiko der Kapitalanlage liegt ganz beim Arbeitnehmer,
für Arbeitnehmer ist ein nur ein administrativ aufwendiges Opt-out möglich,
Arbeitnehmer können auf ihr angesparte Kapital von dem 62. Lebensjahr auch dann nicht zugreifen, wenn er andere Maßnahmen der sinnvollen Altersovorsorge erkennt (z.B. die Enschuldung seiner Immobilie).
Und das beste an allem: die bekannt teueren Versicherungsmäntel werden weiter angewendet, sodass der 15%ige Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung, mit dem dieses Produkt jetzt “gesponsort” werden muss, auch noch in den Schatullen der deutschen Versicherungswirtschaft landet.
Ein wirklich skrupelloses Machwerk.
Dabei zeigen uns die Schweden schon seit Ende der 90er Jahren, wie man rentable betriebliche Altersvorsorge (AP7 Pensionsfonds) zu einem Kostensatz von 0,17% pro Jahr auch organisieren kann – ohne als PolitikerIn bei den Banken und Versicherungen anzuecken.
Ich kann nur hoffen, dass sich Arbeitnehmer qualitativ hochwertig von einem einkaufseitigem Berater und gegen Bezahlung beraten lassen, bevor Sie zwangsweise (sog. “opt-out”) zu dieser Geldverschwendung verdammt werden. Als Verbraucher lassen Sie sich vor Abschluss unbedingt das Produkt-Informationsblatt zeigen. Dort sind die Abschluss-, Vertriebs- und Verwaltungskosten ziemlich gut lesbar aufgelistet. Bitten Sie dann Ihren Arbeitgeber diese Kosten für Sie zu übernehmen – und schauen Sie dann mal, was passiert. Vielleicht regt das den einen oder anderen Arbeitgeber dazu an, sich Gedanken darüber zu machen, wessen Altersvorsorge da gefördert wird. Und vielleicht wird sich dann der eine oder andere Arbeitgeber Ihren Rat gegen Bezahlung einholen.