Zocken Versicherer die Armen ab?
Deutsche Lebensversicherer kalkulieren mit unfairen Sterbetafeln
Über 81 Millionen Lebensversicherungsverträge bestehen aktuell in Deutschland!
Für die Altersvorsorge der Bürger ist das eine zwiespältige Nachricht. Denn einerseits haben die Bürger wenigstens eine zusätzliche Altersvorsorge. Andererseits sind diese Verträge krass unvorteilhaft. Vor allem, weil sie zu hohe Kosten haben.
Anspar- und Auszahlungsphase
Ein Lebensversicherungsvertrag enthält zwei Phasen
- Einzahlungsphase (auch Ansparphase genannt)
–> der Kunde zahlt seine Beiträge und - Auszahlungsphase (auch Renten- oder Entnahmephase genannt)
–> der Kunde erhält im Alter Geld
Kosten für den Kunden fallen in beiden Phasen an.
In der Ansparphase soll die sogenannte „Effektivkostenquote“ den Kunden eine Orientierungshilfe sein. Doch sie ist unvollständig und unzweckmäßig. Schon ihre deutsche Bezeichnung ist irreführend. Renditeminderung trifft es stattdessen besser (was auch der englische Begriff Reduction in Yield verdeutlicht). Letztlich geht es um die Minderung der Rentenhöhe für den Kunden.
Die Kosten der Auszahlungsphase werden noch weniger beachtet – dabei sind sie enorm! Hier schlagen zusätzlich zu den eigentlichen Kosten weitere erhebliche Minderungen, nämlich die Sterblichkeitsmargen (Sterblichkeitsgewinne) der Versicherer zu Lasten der Kunden zu Buche.
Die Versicherer rechnen mit einer sehr hohen Lebenserwartung ihrer Kunden – einer viel höheren, als es das Statistische Bundesamt tut. Warum? Weil die Versicherer die Kundengelder damit auf mehr Jahre verteilen und so eine nur geringere Rente pro Jahr auszahlen müssen. Die Lücke zwischen tatsächlicher und kalkulierter durchschnittlicher Lebenserwartung führt somit zwangsläufig zu Sterblichkeitsgewinnen beim Versicherer.
Und noch eine überraschende Erkenntnis: Menschen mit einem höheren Einkommen haben eine höhere Lebenserwartung. Sie beziehen also unterm Strich mehr Rente als ärmere Menschen die vergleichsweise früher versterben. Letztlich subventionieren die Ärmeren somit die Renten der Reichen.
All das bringt mein Interview-Gast sympathisch und verständlich herüber.
Video-Interview
Hier geht es zum Video-Interview mit Prof. Dr. Karl Michael Ortmann:
(bei Klick: Video auf YouTube ansehen)
Mein Gast: Prof. Dr. Karl Michael Ortmann
Mein Gast ist der Aktuar (DAV und FIA) und Professor für Mathematik an der Berliner Hochschule für Technik Prof. Dr. Karl Michael Ortmann. Er ist einer der sehr wenigen verbraucherschützenden Aktuare in Deutschland. Die meisten Aktuare sind den Versicherern zugewandt.
Das sind die Meilensteine unseres Video-Gesprächs
00:00 Start: Starke Aussagen auf den Punkt und Intro
01:19 Gast: Prof. Dr. Karl Michael Ortmann, Berliner Hochschule für Technik
01:40 Was macht ein Aktuar?
02:32 Britische Aktuare: Selbstverständnis „Treating Customers Fairly“
04:12 1,25 Bio. Euro in versicherungsgebundenen Altersvorsorgeprodukten
05:04 Effektivkostenquote irreführend und unvollständig
09:41 Begriff Renditeminderung wäre ehrlicher
10:45 Effektivkostenquote ähnlich unehrlich wie Ausweis beim Abgasskandal
11:55 Abschlusskosten in den letzten Jahren enorm gestiegen
13:46 Kosten der Entnahmephase viel zu wenig beachtet
15:12 Sterbetafeln und Sterblichkeitsgewinne der Versicherer
19:58 Renditekiller für Kunden: Sterblichkeitsmargen der Versicherer
21:53 Langlebigkeitsrisiko sollte der Staat, nicht die Versicherer abdecken
23:00 Ärmere subventionieren die Renten der Reichen
25:30 Praktischer Tipp zum Schluss – was kann der Einzelne tun?
Hier geht es zum Video-Interview mit Prof. Dr. Karl Michael Ortmann:
Kommentieren Sie gern hier im Blog oder unter dem Video auf YouTube: Haben Sie gewusst, dass die Kosten in der Auszahlungsphase einer Lebensversicherung so hoch sind?
Übrigens: Dass der Abschluss von Renten- und Lebensversicherungsverträgen bei einem Versicherer Unsinn ist, darüber habe ich auch mit Aktuar Axel Kleinlein gesprochen: Er erzählt in dem Video-Interview über Dinge, die Ihnen der Versicherer nie erzählen würde.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erwähnte Webseiten, Links und Infos:
👉 https://prof.bht-berlin.de/ortmann [Professur Dr. Karl Michael Ortmann an der BHT]
👉 https://prof.bht-berlin.de/ortmann/publikationen [Publikationen von Prof. Dr. Karl Michael Ortmann)
👉 https://www.bundderversicherten.de/de/bund-der-versicherten/vereinsstruktur#WissenschaftlicherBeirat [Wissenschaftlicher Beirat BdV]
👉 https://youtu.be/lVb3MaAMqUw?t=141 [Herr Walz in der ZDF heute-Show]
👉 https://youtu.be/727EWAY4xuk?t=21 [Hartmut, Chin und der Rüpel Rürup]
Erschienen am 16. Mai 2025.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä. Mich nährt nur die Anerkennung ehrbarer Menschen. Und die Vision, dass Deutschland ein ehrlicherer Platz für Sparer und Vorsorgende werden wird.
Lieber Herr Walz,
der Vorschlag das Langlebigkeitsrisiko den Versicherern „wegzunehmen“ und in einer einzigen Rückversicherung zu bündeln und damit insbesondere für Menschen, die nicht so alt werden die Kosten einer Versicherung massiv zu verringern, bzw. die Renditen zu erhöhen halte ich für absolut sinnvoll.
Nun gehöre ich zu den sehr wenigen Menschen, deren Altersvorsorge/Rente fast vollständig aus der Entnahme eines zuvor angesparten ETF /Anleihen Portfolios besteht. Zur Kalkulation meiner jährlichen Entnahmehöhe muss auch ich mein Langlebigkeitsrisiko kalkulieren. Und da ich nicht das Kollektiv von vielen tausend Versicherten im Rücken habe, muss ich noch viel vorsichtiger kalkulieren als ein Versicherung. Denn wenn ich mich zu meinen Ungunsten verkalkulieren geht mir im (hohen) Alter die Kohle aus und zwar vollständig. Kalkuliere dagegen zu vorsichtig oder schlägt einfach der Zufall zu und ich sterbe zu früh, dann profitiert nicht die Versicherung , sondern meine Erben.
Nun bin ich kein Versicherungsmathematiker, sondern jemand der mit Prozentrechnung und Dreisatz und einem guten „Zahlengefühl“ gut durchs bisherige Leben gekommen ist. Aber was die Entnahmephase angeht muss auch ich mich mit Sterbetafeln auseinandersetzen. Und ich kenne nur die allgemeine Sterbetafel und ich nicht die für Sport treibende, bio-genährte akademische Schreibtischtäter 😉 . Kurzum: Ich muss für mich mit einer noch längeren Lebensdauer rechnen, als es eine Versicherung tun würde. Als 60jähriger muss ich als auf jeden Fall 95 Jahre ansetzen.
Daneben sind natürlich alle anderen Risiken mit zu berechnen die sich aus der Portfolioaufteilung und dem Sequenz of Return Risiko ergeben.
Daraus ergibt sich eine ganz andere neue Idee zur privaten Altersvorsorge für die breite Maße der arbeitenden Bevölkerung:
– es wird ein staatlicher Kapitalmarktfond aufgesetzt, der sehr Risikoorientiert (Renditeorientiert) ist. In diesen kann oder sogar muss man steuerbegünstigt einzahlen.
– Im Rentenalter wird dann ein staatlich kalkulierter Prozentsatz x jährlich ausgezahlt.
Und nun der Witz der an der Sache: Dieser Prozentsatz basiert auf der durchschnittlichen Restlebenserwartung aller in Deutschland lebenden 67jährigen. Und das darüber liegende Langlebigkeitsrisiko trägt die Gemeinschaft der Versicherten. Ziel ist es so höhere jährliche Ausschüttungen zu ermöglichen.
Damit ist dann für die Einzelperson die Problematik Langlebigkeit eliminiert und auch die Gesamtproblematik der Anlageentscheidung und der Berechnung der Entnahmehöhe, denn die wird auf wissenschaftlicher Basis entschieden.
Wäre ein guter Ansatz, wenn ja wenn es da nicht noch die Versicherungswirtschaft gäbe….
Lieber Karl, haben Sie vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie Ihre sehr gut durchdachten Überlegungen mit uns teilen.
Ich kann Ihre Situation und die Überlegungen bestens nachvollziehen und kenne viele Menschen mit ähnlichem Datenkranz. Und Sie haben völlig Recht – eine kollektive Lösung ist einer individuellen klar überlegen und wird im aktuellen Ist-Zustand lediglich durch Intransparenz und ein ausuferndes Profitstreben der Versicherer zum schlechten „Deal“ für die Kunden.
Kurzum: Das „Problem“ ist kein Sachproblem, sondern ein Lobby-Problem 🙄
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!