GASTBEITRAG MONIKA MÜLLER, WIESBADEN
Ihre Persönlichkeit zählt: Die wichtigste Ressource für bestmögliche Finanzentscheidungen
Zahlen, Daten und Fakten sind für gute Finanzentscheidungen wichtig. Der Einfluss der Persönlichkeit wird jedoch noch immer unterschätzt.
Dabei ist sich die Gehirnforschung einig: Der rational-kognitive Bereich im Gehirn, den wir mit Informationen füttern, hat weder anatomisch noch funktional einen direkten Einfluss auf diejenigen Hirnzentren, die das Verhalten tatsächlich beeinflussen (Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Prof. Dr. Dr. Roth).
Deshalb muss die Frage vor der nächsten Entscheidung lauten: Wie komme ICH jetzt zu der für mich bestmöglichen Entscheidung?
Lesen Sie heute, wie Sie Ihre Selbsterkenntnis vertiefen, Ihr Selbstvertrauen stärken und mit noch mehr Selbstverantwortung, wohlinformierte, gute Finanzentscheidungen treffen können.
1.
Der Umgang mit Geld und Risiko wird in der Kindheit geprägt
Sowohl die Einstellung zu Geld und finanziellem Risiko, als auch das gesunde Selbstvertrauen zur eigenen Entscheidungsfähigkeit sind wichtige Elemente einer Finanzentscheidung. In der Kindheit beeinflussen Eltern und andere Bezugspersonen, wie wir auf Dinge zugehen. Wir lernen von ihnen im Idealfall alles was wir brauchen.
Treffen Eltern regelmäßig gute Finanzentscheidungen und lassen ihre Kinder daran teilhaben, hat die finanzielle Bildung ein erstes Fundament. Fehlt das, müssen wir als Erwachsene die Ärmel hochkrempeln und dazulernen.
Finanzielle Bildung ist in erster Linie Persönlichkeitsentwicklung
Wer ein selbstbestimmter Entscheider sein möchte, für den ist strategische Selbsterkenntnis ein Dauerthema. Mit jeder Entscheidung haben wir die Chance uns besser kennenzulernen.
Und gerade ältere Menschen merken, wenn Fragen von Erben oder Vererben anstehen, konfrontiert uns das Leben damit erneut. Sehr persönliche Aspekte nehmen plötzlich viel Raum ein.
Aber auch die ersten Fehler bei Finanzentscheidungen in der Jugend sind wichtige Gelegenheiten, sich selbst besser zu verstehen und weiterzuentwickeln:
- Wie nehme ich Information wahr?
- Wie suche ich mir Menschen aus, denen ich vertraue?
- Welche Kriterien lege ich bei meinen Entscheidungen an?
- Wie kommuniziere ich über Geld, und was verstehe ich unter Risiko?
2.
Finanzentscheidungen ziehen sich wie ein roter Faden durchs ganze Leben
Finanzentscheidungen betreffen die Auswahl eines guten Finanzberaters, eines Vermögensverwalters oder eines Finanzcoachs. Es sind Anlageentscheidungen, der Kauf einer Immobilie, Finanzierungen, Leihen oder Schenken, die Entnahme im Ruhestand, und auch Karriere- und Gehaltsentscheidungen. Und nicht zuletzt basiert selbst eine gute Beziehung zum Lebenspartner auf einigen wichtigen Finanzentscheidungen.
Unsere persönliche Einstellung zu Geld und Risiko beeinflusst alle Finanzentscheidungen. Ohne Emotionen und Intuition können Menschen gar keine guten Finanzentscheidungen treffen. (Risikoprofiling mit Anlegern, Prof. Dr. Dr. Roth)
Doch der Umgang mit Ratio, Intuition und Emotion ist nicht so leicht. Es gibt auch Emotionen die uns in die falsche Richtung oder in eine Sackgasse leiten. Also, was tun?
Persönlichkeit als Ressource für gute Finanzentscheidungen nutzen
Gerade wer sich um seine Finanzen selbst kümmern möchte, muss sich als Finanzentscheider gut kennen. Wer seine Persönlichkeit und sein eigenes Verhalten versteht, ist motivierter, Entscheidungen zu treffen und kann sich selbst besser steuern.
Durch bewusst gute Erfahrungen entsteht ein gesundes Selbstvertrauen. Der Finanzentscheider entwickelt sich zum Gesprächspartner auf Augenhöhe mit dem Finanzberater. Er stellt mehr kluge Fragen und wird damit zur proaktiven Herausforderung für sich selbst, den Partner, oder auch für einen Finanzberater.
Bleibt man dagegen unklar, zum Beispiel über die eigene finanzielle Risikobereitschaft, dann sind die Möglichkeiten gute Entscheidungen zu treffen, begrenzt. Das trifft noch immer auf viele Menschen weltweit zu. Nicht umsonst kommen internationale Untersuchungen von DELBAR Incorporated über das „Behavioral Gap“ regelmäßig zu der Erkenntnis, dass Anlegern durch ungünstiges Verhalten erheblicher Gewinn entgeht.
Bevor Sie Geld in Aktien anlegen, sich einen Berater suchen, oder diesen Auftrag einem Vermögensverwalter geben, ist die beste Investition, die Investition in die eigene Person.
3.
Finanzielle Risikobereitschaft ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal – jeder hat sie, jeder kann sie nutzen
Es ist wichtig, seine finanzielle Risikobereitschaft zu kennen. Warum? Jede Finanzentscheidung birgt ein Risiko. Wir entscheiden uns also immer für ein Risiko.
Und das ist noch nicht alles, zusätzlich bleibt bei jeder Entscheidung eine gewisse Unsicherheit. Wie viel Risiko wir eingehen, diese Entscheidung kann uns keiner abnehmen. Wer Ihnen etwas anderes erzählt, dem vertrauen Sie besser nichts mehr an.
Gut zu wissen: Die finanzielle Risikobereitschaft ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Wie andere Merkmale der Persönlichkeit (z. B. Gewissenhaftigkeit oder Extraversion) verändert sich die finanzielle Risikobereitschaft während des Lebens nur geringfügig.
Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung zusammen mit der Universität Basel zeigt: Selbst im Alter bleiben die Muster bestehen.
Für alle, die an der Aussage zweifeln: Ja natürlich ändern Menschen ihr Verhalten. Zum Beispiel kann ich mich bewusst dafür entscheiden nach der Familiengründung, weniger finanzielle Risiken bei Anlageentscheidungen einzugehen. Doch meine Grundeinstellung zu finanziellem Risiko bleibt davon unberührt.
Idealerweise entscheide ich mich bei der Vermögenstrukturierung deshalb bewusst für ein Risiko, das meiner finanziellen Risikobereitschaft entspricht (Geeignetheit). Damit bewege ich mich von Anfang an – also auch schon beim ersten Sparplan zur Altersvorsorge – in meiner individuellen Komfortzone.
Finanzpsychologisch bedeutet Komfortzone: Ich befinde mich mit meinem Geld in einem Bereich von Risiko, aus dem heraus ich neutral und angstfrei agieren kann. Weder Gier noch Angst steuern mein Verhalten. Gelassen und ruhig, mit angemessenem Abstand und Weitblick, treffe ich in allen Lebens- und Marktphasen gute Entscheidungen.
So schließt sich das „Behavioral Gap“. Mit jeder neuen Erfahrung baue ich mehr gesundes Selbstvertrauen zu mir als Finanzentscheider auf.
4.
Wie können Sie sich Ihrer finanziellen Risikobereitschaft nähern?
Starten Sie mit der schriftlichen Beantwortung dieser beiden Fragen:
- Was ist finanzielles Risiko (für mich)?
- Wie risikobereit bin ich zwischen 0 – und – 10 bei Finanzentscheidungen?
Besprechen Sie Ihre Erkenntnisse mit ihrem Partner, Freund oder auch einem aufgeschlossenen Finanzberater oder einem Finanzcoach. Wenn Sie sich und die Unterschiede zu anderen Menschen besser kennen, dann ist Ihnen klarer, worauf Sie bei Ihren Entscheidungen achten werden.
Paare suchen nach einer gemeinsamen Lösung
Nehmen wir an, Sie sind ein Ehepaar. Einer der Partner sagt: „Risiko ist für mich, einen Schaden zu erleben.“ Der andere Partner sagt: „Risiko ist für mich die Möglichkeit zu verlieren oder zu gewinnen.“
In Zahlen ausgedrückt, kreuzt der eine vielleicht eine 3 und der andere eine 7 an. Beide erkennen: Das ist ein diametraler Unterschied. Jetzt sind Sie sich darüber bewusst, und können, ja müssen sogar überlegen, wie Sie diesen Unterschied bei gemeinsamen Entscheidungen berücksichtigen.
Denn die Einstellung zu Risiko ist nicht diskutierbar. Sie ist früh entstanden und emotional tief verankert. Jeder kann von seiner Einstellung etwas abweichen, wenn er bewusst und freiwillig diese Entscheidung fällt.
Dann trifft ihn keine negative Überraschung, denn er kann sich an die guten Gründe für seine Abweichung erinnern. Unangenehme Emotionen und Spannungen treten zwar vereinzelt zu Tage, aber sie sind leichter zu bewältigen und gehen schneller vorüber. Das macht Entscheidungen nachhaltig stabil.
5.
Finanzielle Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung sind zwei Paar Schuhe
Sie erinnern sich? Ende der 90er Jahre, der Börsenhype. Immer mehr Menschen kaufen Aktien. Waren diese Menschen plötzlich risikofreudiger? Wenn man den Medien und den meisten Finanzberatern glauben möchte, ja.
Wissenschaftlich und logisch betrachtet ist das falsch. Nicht die finanzielle Risikobereitschaft hat sich verändert, sondern die Risikowahrnehmung. Durch die vielen Erfolgsnachrichten haben Menschen das Risiko nicht mehr gesehen. Das Gehirn hat signalisiert: Alle anderen machen es auch, dann kann es doch nicht so gefährlich sein, wie ich bisher dachte.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür wie ein sozial-emotionales Erleben, das das Verhalten steuert. Die reinen Zahlen, Daten, Fakten waren jedenfalls nur selten der Grund 1999 in den DAX einzusteigen.
Der umgekehrte Fall 2008. Die Krise, der Absturz der Börsen, die Medien, wieder hieß es die Menschen seien nun risikoscheuer geworden. Nein, es war anders: Plötzlich war das Risiko wieder im Bewusstsein angekommen – und wurde jetzt überschätzt. Viele Anleger haben verkauft und etliche sind erst 2018 wieder eingestiegen.
Wie sicher sind Immobilien, Gold oder Aktien?
Immobilien, Gold und Aktien werden in ihrem Risiko häufig unter- oder überschätzt. Mehr noch, Immobilien zum Beispiel werden sogar als „sicher“ wahrgenommen. Aber Sicherheit ist ein Gefühl, kein Merkmal von Investments.
Alle drei genannten Assetklassen sind Sachwerte mit bestimmten Risiken. Sie unterliegen in der Wahrnehmung aber besonders stabilen Verzerrungen. Wer sich das vor Augen hält, und belastbare Zahlen, Daten, Fakten nutzt, der kann besser entscheiden wie hoch der Anteil an seinem Vermögen sein soll.
6.
Der Unterschied zwischen der finanziellen Risikobereitschaft und der Risikowahrnehmung – ein wichtiges Kriterium für gute Entscheidungen.
Wenn Sie unsicher sind, was bei Ihrer Entscheidung die Oberhand gewinnt, fragen Sie sich: „Warum möchte ich gerade jetzt meine Entscheidung ändern?“
Ist der Grund vielleicht, dass Sie Ihre Komfortzone noch nicht kennen? Dann sollte Sie Ihre finanzielle Risikobereitschaft genau erfassen, verstehen und in eine passende Lösung übertragen. Wenn das gelingt, dann fühlen Sie sich in jeder Marktphase sicher.
Oder haben Sie in ruhiger Minute eine gute Entscheidung getroffen, und es hat sich (nur) Ihre Risikowahrnehmung geändert, weil die Medien Aufregung verbreiten? Dann ist es sinnvoller zu überlegen, ob Ihre aktuelle Stimmung – resultierend aus der Wahrnehmung – der richtige Anlass für die Änderung einer Strategie ist.
Eine gute Strategie hat über die nächsten Jahre und Jahrzehnte Bestand. Nur wenn sich Gravierendes an der persönlichen Situation oder in der Persönlichkeit ändert, sollte eine Vermögenstruktur auf den Prüfstand.
Wer seine finanzielle Risikobereitschaft genau kennt, der bewegt sich in seiner Komfortzone. Er kann sein Verhalten besser kontrollieren und im richtigen Moment die „Füße stillhalten“. Diese innere Ruhe stärkt langfristig das gesunde Selbstvertrauen.
Ihre Persönlichkeit ist die wichtigste Ressource für gute Finanzentscheidungen.
Schenken Sie sich genügend Aufmerksamkeit!
Erschienen am 26. April 2019.
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Wie stabil ist eigentlich unsere finanzielle Risikobereitschaft?
Prospect Theory sagt uns, dass Menschen nur dann risikoscheu sind, also riskante Optionen ablehnen, wenn Gewinne involviert sind. Geht es dagegen nur um Verluste, ändert sich das Verhalten. Es zeigt sich bei Verlusten zumeist ein gewisses risikosuchendes Verhalten. Und nur bei großen Verlusten vermeiden Menschen wieder die riskante Option. Dieses Muster wurde in den letzten Jahren immer wieder experimentell bestätigt.
Danke für die Frage!
Die Prospect Theory untersucht situative Reaktionen, die vorallem bei kurzfristigem Trading eine große Rolle spielen. Dabei sind die Tendenzen (Gewinne machen risikoscheu, Verluste risikofreudig) bei den meisten Probanden zu finden. Wie kommt das? Gewinne mitnehmen führt zu einer Bestätigung. Ein kurzfistig angenehmes Gefühl. Verluste realisieren würde ein unagenehmes Gefühl auslösen, das vermeiden wir und nehmen das größere Risiko in Kauf. Menschen werden damit also nicht als Person bewusst risikoscheuer oder risikfreudiger. Was sich vorübergehend ändert ist zum Beispiel die Risikowahrnehmung: Wenn wir „im VerLust“ oder „im Gewinn“ sind, nehmen wir das Risiko einer Anlage stärker oder schwächer wahr als es tatsächlich ist. Das führt zu sogenannten „irrationalen“ Entscheidungen, die jedoch psychologisch gut erklärbar sind. Wer sich das bewusst macht, kann kurz- und langfristig bessere Entscheidungen treffen.
Die finanzielle Risikobereitschaft ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Hier eine großangelegte Studie des Max-Planck Instituts: https://www.mpg.de/11679764/risikoquotient
Ein wunderbarer ARtikel und ein MUSS für jeden Berater.
Danke Frau Müller für die tolle Zusammenfassung und was noch wichtig ist ausser Finanzprodukte einfach zu kaufen oder sich verkaufen zu lassen.
Danke – stellvertretend an alle, die sich die Zeit genommen haben diesen Beitrag zu lesen.
Der Blick in den Spiegel, auf die eigenen Ressourcen und Einstellungen, ist für viele Berater und Kunden noch ungewöhnlich. Doch aus eigener Erfahrung als Unternehmerin, Finanzcoach und als Anlegerin kann ich sagen es lohnt sich! Seit ich meine finanzielle Risikobereitschaft richtig gut kenne, fällt es mir sehr viel leichter Entscheidungen zu treffen. Auch gemeinsame Entscheidungen mit meinem Mann, oder mit Geschäftspartnern, sind transparenter und erfüllen damit unser aller Bedürfnis nach Sicherheit, indem wir gemeinsam mit Risiko kompetent umgehen.