Sach bleibt Sach – die Geldillusion
ein Gastbeitrag von Dominik Heberling, Ludwigshafen a.Rh.
Während meiner Banklehre in den 1990er-Jahren erklärte ich regelmäßig meinen Großeltern was ich in der Berufsschule und am Bankschalter über Bausparverträge, Lebensversicherungen und Investmentfonds gelernt hatte. Meine Großeltern reagierten skeptisch.
Ein Lieblingsspruch meiner pfälzischen Großmutter war: „Sach bleibt Sach. Geld geht immer kaputt.“. Sie meinte wohl damit das Phänomen der Geldillusion.
Geldillusion
Der Begriff Geldillusion beschreibt die Nichtwahrnehmung von Inflation und ihren Auswirkungen. Menschen unterliegen der Illusion, das Geld habe nach einer bestimmten Zeitspanne den gleichen realen Wert wie zuvor.
Folglich werden individuelle Entscheidungen unter falschen Voraussetzungen getroffen. Personen oder Institutionen orientieren sich dabei irrational am nominalen Wert des Geldes, anstatt den realen Wert in ihre wirtschaftlichen Planungen einzubeziehen.
Ein klassisches Beispiel: Ein Arbeitnehmer freut sich über eine Gehaltserhöhung von 2% und konsumiert nun mehr – ohne zu beachten, dass die Inflationsrate ebenfalls 2% beträgt. Sein Reallohn bleibt somit unverändert.
Berücksichtigt man den progressiven Steuertarif („kalte Progression“) sinkt sein Realeinkommen sogar – ein Vorteil für den Staat, nicht für den Arbeitnehmer.
Auswirkungen
Besonders gravierend wirkt sich die Geldillusion bei langfristigen Entscheidungen wie der Altersvorsorge aus. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ein 30-jähriger MBA-Absolvent schließt im Jahr 2025 eine private Rentenversicherung ab, die ihm ab dem 67. Lebensjahr eine lebenslange Zusatzrente von monatlich 300 Euro garantiert. Er unterliegt der Geldillusion, wenn er annimmt, dass diese 300 Euro im Jahr 2062 denselben Kaufwert haben wie 2025.
Unter der Annahme einer durchschnittlichen Inflationsrate von 3% pro Jahr – ein Wert, der über Jahrzehnte hinweg plausibel erscheint – entspricht die Kaufkraft dieser 300 Euro im Jahr 2062 nur noch der Kaufkraft von ca. 100 Euro heute. Im Jahr 2072 wäre die Kaufkraft sogar auf ca. 75 Euro gesunken. Eine Versorgungslücke kann die Folge sein.
Achtung: Auch die jährlich versandten Schreiben der Deutschen Rentenversicherung zur voraussichtlichen gesetzlichen Altersrente basieren auf nominalen Werten – und verschleiern somit die reale Kaufkraft nach Abzug von Inflation und Steuern.
Was bedeutet das für Sie?
- Machen Sie sich mit den Grundlagen der Inflationsberechnung vertraut (Investitionsrechnung, Abzinsung, logarithmische Funktionen).
- Verwenden Sie immer den realen Wert als Entscheidungsgrundlage, nicht den nominalen.
- Berücksichtigen Sie langfristige Inflationsraten und kombinieren Sie diese mit realistischen Erwartungen zur Berechnung eines brauchbaren Kalkulationszinssatzes.
- Bei steigender Inflationserwartung: Sachwerte gegenüber Geldwerten bevorzugen.
- Setzen Sie auf Diversifikation und Flexibilität: Clevere Investoren verteilen ihr Vermögen breit und schichten flexibel zwischen verschiedenen Anlageklassen um.
Ein Blick in mein Arbeitszimmer bestätigt diese Erkenntnis: An der Wand hängt eine Banknote über 50 Milliarden Mark aus dem Jahr 1923, deren heutiger Wert nur ein paar Euro beträgt. Auf meinem Schreibtisch hingegen liegt ein römisch-byzantinischer Solidus aus dem 4. Jahrhundert nach Christus, dessen Kaufkraft seit mehr als 1.600 Jahren erhalten blieb – trotz Krisen, Inflation, Währungsreformen und Kriegen. Ein klassischer Beweis für den Lindy-Effekt.
„Sach bleibt Sach. Geld geht immer kaputt.“ Meine Großmutter wusste, wovon sie sprach.
Aktualisiert am 15. Februar 2025, ursprünglich erschienen am 05. Januar 2018.
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Ein sehr guter Beitrag, verständlich, auf den Punkt, mit guten Beispielen. Wer es jetzt noch immer nicht begreift, ist selber schuld 🙂
Die „Illusion, das Geld habe nach einer bestimmten Zeitspanne den gleichen realen Wert wie zuvor“ ist tatsächlich eine der schlimmsten Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit Altersvorsorge. Und der Staat scheint zumindest nichts dagegen zu haben, dass „seine Schäflein“ dieser Fehleinschätzung unterliegen…
Einen guten Tag wünscht Gerhard Stiel
Sehr geehrter Herr Stiel,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben vollkommen recht, der Staat profitiert mit am meisten von der „Geldillusion“, wie übrigens auch von stetig steigenden Immobilienpreisen…
Viele Grüße
Dominik Heberling
Top Beitrag – gerade bei der Betrachtung von langfristigen Finanzfragen halte ich Ihre Aussagen für entscheidend. Die Inflation kann dazu führen, dass die langfristigen Finanzen „geschönt“ werden. Bei der Entscheidung von möglichen Anlageprodukten für die spätere Altersvorsorge wird die steuerliche Handhabung der Auszahlungsbeträge in vielen Fällen nicht ausreichend beleuchtet. Insbesondere bei steuerliche geförderten Produkten wird wenig bis sehr „unsauber“ gerechnet. Für eine gute Einschätzung von langfristigen Auswirkungen empfehle ich meinen Kunden eine Finanzplanung. Über diese Finanzplanung werden die verschiedenen Auswirkungen von langfristigen Zahlungsströmen verarbeitet inkl. der Inflation. Bei der Wahl von verschiedenen Anlageprodukten ist auf diesem Wege eine Gesamtbetrachtung der Einzahlung- und Auszahlungsphase gewährleistet.
Sehr geehrter Herr Grebe,
Danke für Ihre anerkennenden Worte!
Viele Grüße
Dominik Heberling
Leider achten aber viele dann auch immer nur auf Jahresrenditen oder fünf Jahre und wenn dann eine Anlageklasse nicht läuft (wie z.B. Gold), wechselt man in die nächste Anlageklasse. Disziplin und Strategie hilft mehr als viele Denken. Und produktive Sachwerte wie Aktien (Weltportfolio) werden immer noch zu gering berücksichtigt?.
Sehr geehrter Herr Krapp,
vielen Dank für den Kommentar. Bzgl. der Goldpreisentwicklung empfehle ich das Buch „Geheime Goldpolitik“ von Dimitri Speck. Da wird vieles klarer.
Viele Grüße
Dominik Heberling