Gastbeitrag von Dominik Heberling, Ludwigshafen a.Rh.
Sach bleibt Sach – Die Geldillusion
Während meiner Banklehre in den 1990er-Jahren erklärte ich regelmäßig meinen Großeltern was ich in der Berufsschule und am Bankschalter über Bausparverträge, Lebensversicherungen und Investmentfonds gelernt hatte. Meine Großeltern reagierten skeptisch. Ein Lieblingsspruch meiner pfälzischen Großmutter war: „Sach bleibt Sach. Geld geht immer kaputt“. Sie meinte wohl damit das Phänomen der Geldillusion.
Geldillusion
Der Begriff Geldillusion beschreibt die Nichtwahrnehmung von Inflation und ihren Auswirkungen. Menschen unterliegen der Illusion, das Geld habe nach einer bestimmten Zeitspanne den gleichen realen Wert wie zuvor.
Folglich werden individuelle Entscheidungen unter der Annahme falscher Voraussetzungen getroffen. Personen oder Einrichtungen richten deswegen ihr zukünftiges wirtschaftliches Verhalten oft nicht nach dem realen Wert des Geldes, sondern orientieren sich irrational an dessen nominalem Wert.
Ein Arbeitnehmer unterliegt z. B. der Geldillusion, wenn er eine Gehaltserhöhung von 2% zum Anlass nimmt, mehr zu konsumieren, obwohl gleichzeitig die (tatsächliche) Inflationsrate ebenfalls 2% beträgt und sein Reallohn somit de facto unverändert geblieben ist. Berücksichtigt man noch den progressiven Steuertarif („kalte Progression“) ist sein Reallohn sogar niedriger als zuvor – zum Wohle des Staates.
Auswirkungen
Gerade bei langfristigen Entscheidungen wie bei der Altersvorsorge hat der Geldillusionseffekt gravierende Auswirkungen. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies: Ein 30-jähriger MBA-Absolvent schließt im Jahr 2018 eine private Rentenversicherung ab, die ihm ab seinem 67. Lebensjahr eine lebenslange feste Zusatzrente von monatlich 300 Euro garantiert. Der Akademiker unterliegt der Geldillusion wenn er davon ausgeht, dass er sich im Jahr 2055 für die 300 Euro genauso viele Waren kaufen kann wie im Jahr 2018.
Unter der Annahme, dass die Inflationsrate in den nächsten 37 Jahren durchschnittlich 3% pro Jahr beträgt (dies entspricht ungefähr dem langjährigen Durchschnitt zu DM-Zeiten vor Einführung der „hedonischen Berechnungsmethode“) haben die 300 Euro nur noch eine Kaufkraft, die der von 100 Euro im Jahr 2018 entspricht. Die 300 Euro haben 2055 real nur noch ein Drittel, im Jahr 2065 sogar nur noch ein Viertel ihres Wertes aus dem Jahr 2018.
Daraus kann eine signifikante Versorgungslücke im Alter resultieren.
Der MBA sollte sich bzw. seinem/seiner FinanzberaterIn darüber hinaus noch folgende Fragen stellen:
- Wie wird dieses Altersvorsorgeprodukt im Jahr 2055 besteuert? Komplett steuerfrei, mit 50% oder gar mit 100% (z. B. als Umverteilungsabgabe bzw. Vermögenssteuer bei einer sozialistischen Regierung)?
- Wieviel wird im Jahr 2055 ein Brötchen beim Bäcker kosten? Bezahlen wir im Jahr 2055 beim Bäcker unsere Brötchen überhaupt noch in Euro? Falls nicht, was passiert dann mit den Auszahlungen der privaten Rentenversicherung?
Den Sachverhalt der Geldillusion findet man auch bei den jährlich verschickten Informationen der deutschen Rentenversicherung über die voraussichtliche Höhe der gesetzlichen Regelaltersrente. Diese Schreiben zeigen nämlich nur Informationen über den nominalen Wert der Rente und nicht über den realen bzw. tatsächlichen Wert (Kaufkraft) nach Abzug der Inflation und ggf. einer Besteuerung.
Meines Erachtens gibt es bei langfristigen Investitions- bzw. Finanzierungsentscheidungen keinen folgenschwereren Entscheidungsfehler als den der Geldillusion.
Was bedeutet dies konkret für Sie?
- Machen Sie sich vertraut, wie man Inflationseffekte berechnet bzw. herausrechnet (Investitionsrechnung, Abzinsung, Logarithmus-Funktion)!
- Nehmen Sie immer den realen Wert bzw. den Barwert, nie den nominalen Wert als Entscheidungsgrundlage!
- Nur die zukünftigen Inflationsraten sind entscheidungsrelevant! Diese sind aber unbekannt bzw. unsicher. Deswegen sollten die langfristigen tatsächlichen Inflationsraten (die von den offiziell verkündeten abweichen können) ggf. mit konkreten Erwartungen bzw. Annahmen kombiniert werden um einen brauchbaren Kalkulationszinssatz zu erhalten. Meine persönliche Vergleichsgrundlage ist die durchschnittliche jährliche Preissteigerungsrate meiner lokalen Tageszeitung.
- Bei einer zukünftig steigenden Inflationserwartung: Sachwerte statt Geldwerte bevorzugen!
- Achten Sie auf Diversifikation und Flexibilität! Weise Investoren streuen ihr Vermögen breit, stecken nie mehr als ein Drittel in die gleiche Anlageklasse und schichten bei Bedarf zwischen den einzelnen Anlageklassen um.
An der Wand in meinem Arbeitszimmer hängt eine Banknote über 50 Milliarden Mark aus dem Jahr 1923. Direkt darunter liegt auf dem Schreibtisch ein römisch-byzantinischer Solidus aus dem 4. Jahrhundert nach Christus. Die kleine Goldmünze hat ihren Wert seit mehr als 1.600 Jahren behalten (klassischer Lindy-Effekt), unbeeindruckt von sämtlichen Krisen, Inflationen, Währungsreformen, Staatsbankrotten, Klimaänderungen, Völkerwanderungen und Kriegen. Der Geldschein ist laut Internet-Auktionen aktuell ein paar Euro wert. Historisch sind übrigens alle Währungsunionen ausnahmslos gescheitert…
„Sach bleibt Sach. Geld geht immer kaputt“. Meine Großmutter war eine weise Frau.
Erschienen am 05. Januar 2018.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Ein sehr guter Beitrag, verständlich, auf den Punkt, mit guten Beispielen. Wer es jetzt noch immer nicht begreift, ist selber schuld 🙂
Die „Illusion, das Geld habe nach einer bestimmten Zeitspanne den gleichen realen Wert wie zuvor“ ist tatsächlich eine der schlimmsten Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit Altersvorsorge. Und der Staat scheint zumindest nichts dagegen zu haben, dass „seine Schäflein“ dieser Fehleinschätzung unterliegen…
Einen guten Tag wünscht Gerhard Stiel
Sehr geehrter Herr Stiel,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben vollkommen recht, der Staat profitiert mit am meisten von der „Geldillusion“, wie übrigens auch von stetig steigenden Immobilienpreisen…
Viele Grüße
Dominik Heberling
Top Beitrag – gerade bei der Betrachtung von langfristigen Finanzfragen halte ich Ihre Aussagen für entscheidend. Die Inflation kann dazu führen, dass die langfristigen Finanzen „geschönt“ werden. Bei der Entscheidung von möglichen Anlageprodukten für die spätere Altersvorsorge wird die steuerliche Handhabung der Auszahlungsbeträge in vielen Fällen nicht ausreichend beleuchtet. Insbesondere bei steuerliche geförderten Produkten wird wenig bis sehr „unsauber“ gerechnet. Für eine gute Einschätzung von langfristigen Auswirkungen empfehle ich meinen Kunden eine Finanzplanung. Über diese Finanzplanung werden die verschiedenen Auswirkungen von langfristigen Zahlungsströmen verarbeitet inkl. der Inflation. Bei der Wahl von verschiedenen Anlageprodukten ist auf diesem Wege eine Gesamtbetrachtung der Einzahlung- und Auszahlungsphase gewährleistet.
Sehr geehrter Herr Grebe,
Danke für Ihre anerkennenden Worte!
Viele Grüße
Dominik Heberling
Leider achten aber viele dann auch immer nur auf Jahresrenditen oder fünf Jahre und wenn dann eine Anlageklasse nicht läuft (wie z.B. Gold), wechselt man in die nächste Anlageklasse. Disziplin und Strategie hilft mehr als viele Denken. Und produktive Sachwerte wie Aktien (Weltportfolio) werden immer noch zu gering berücksichtigt?.
Sehr geehrter Herr Krapp,
vielen Dank für den Kommentar. Bzgl. der Goldpreisentwicklung empfehle ich das Buch „Geheime Goldpolitik“ von Dimitri Speck. Da wird vieles klarer.
Viele Grüße
Dominik Heberling