HÄTTE, HÄTTE…
Opportunitätskosten bei der Geldanlage
Als ich meine frühere Freundin kennen lernte, lud ich sie für den folgenden Mittwochabend zu einem schönen „Candle-Light-Dinner“ ein und freute mich schon sehr darauf. Erst danach bemerkte ich, dass…
…an diesem Abend zeitgleich ein interessantes Fußball-Länderspiel übertragen wurde, das ich dann verpassen würde. Der Verzicht auf das Länderspiel reute mich schon ein wenig und so war ich hocherfreut, als meine frühere Freundin im Vorfeld anrief und eine Verlegung vorschlug, da sie (!!!) das Spiel unbedingt sehen wollte. Letztlich schauten wir das Spiel gemeinsam an, bei Chips und Bier, und gingen am Abend darauf, und bis heute noch viele Abende, zum Essen aus. Meine frühere Freundin ist nämlich meine heutige Ehefrau. Das war also noch einmal gut gegangen.
Wenn die Entscheidung für eine Alternative den „Preis“ des Verzichtes auf eine andere Alternative erfordert, dann nennt das der Fachmann „Opportunitätskosten“ – also die Kosten der entgangenen Opportunität = Gelegenheit oder Alternative.
Ihr Leben ist voller Opportunitätskosten
Ich möchte Ihren Blick dafür schärfen. Deshalb nun weg vom gemütlichen Candle-Light. Schalten wir die ökonomische Leuchte an. Hier präsentiere ich Ihnen ein paar oft ignorierte oder stark unterschätzte Fälle:
1. Was hätte aus dem Kapital werden können, das in Ihrem Eigenheim steckt?
Eigenheimbesitzer argumentieren häufig, dass sie im abbezahlten Haus völlig gratis wohnen. Auch als Freund des Eigenheims muss ich hier dagegenhalten, dass – hätten Sie auf den Erwerb verzichtet – das gebundene Kapital in den letzten Jahrzehnten langfristig zu rund 8 % Rendite hätten anlegen können. Die ist ihnen entgangen, d. h. die Eigennutzung ist keineswegs „kostenlos“. Ob die selbstgenutzte Immobilie also – rein finanziell – eine gute Idee war, muss unter Berücksichtigung dieser Opportunitätskosten bewertet werden und ist zunächst einmal offen. Wenn die Menschen sich im Eigenheim glücklich und zufrieden fühlen, ist das eine emotionale Rendite, die zu respektieren ist und jenseits aller finanziellen Überlegungen liegt. (siehe zudem die Überlegungen im Blogbeitrag „Selbstgenutzte Wohnimmobilien – eine steuerfreie Kapitalanlage“)
2. Was hätte aus dem Kapital für die Ansparraten für Ihren Bausparvertrag werden können?
Der Abschluss eines Bausparvertrages führte und führt regelmäßig ebenfalls zu Opportunitätskosten in der Ansparphase. Diese ergeben sich aus der Minderverzinsung des Bausparguthabens gegenüber vergleichbaren Alternativanlagen. In der aktuellen Niedrigzinswelt sind die Opportunitätsverluste zwar gesunken, jedoch keinesfalls auf Null (insbesondere wenn man die Kosten des Bausparvertrages berücksichtigt).
3. Was hätte aus dem Kapital auf Ihrem Sparkonto werden können?
Wenn inländische Sparer gemäß der Statistik der Deutschen Bundesbank ca. 2.800 Milliarden Euro auf Spar- und Sichteinlagenkonten sowie in Bargeld mehr oder weniger unverzinst belassen, obwohl sie einen erheblichen Teil davon nicht als Liquiditätsreserve benötigen, so führt auch das zu hohen Opportunitätsverlusten. Schätzt man ganz defensiv, dass nur 1.000 Milliarden (also eine Billion) Euro nicht „als Notgroschen“ benötigt werden, sondern langfristig aufgrund Unwissen oder Entscheidungsschwäche dort lagern, so bedeutet dies bei der obigen Annahme eines Renditeverzichts auf 6 % bis 8 % einen jährlichen Ertragsausfall von 60 bis 80 Milliarden Euro. Viele Experten gehen sogar eher vom Doppelten aus.
4. Was hätte aus vermiedenen Garantiekosten werden können?
Ein gern übersehenes Beispiel von Opportunitätskosten sind Garantiekosten (z. B. bei kapitalbildenden Lebensversicherungen, Rentenversicherungen oder Riester-Produkten). Um dem Sparer eine Garantie (sinniger Weise auf nomineller Ebene, d. h. vor Inflation) aussprechen zu können, muss der Finanzdienstleister nämlich den überwiegenden Teil des Kapitals in risikolosen und damit renditearmen Anlageformen investieren. Zum Beispiel in Bundesanleihen. Hierdurch entgeht dem Sparer über die Laufzeit jedoch mehr Geld, als man sich vorstellen kann. Der unabhängige Finanzexperte Dr. Mark Ortmann hat an realistischen Modellrechnungen nachgewiesen, dass die – gerade erklärten – Garantiekosten die Summe der geleisteten Sparbeiträge übersteigen können und bei langlaufenden Verträgen sogar ein Mehrfaches der Sparbeiträge erreichten. Unvorstellbar, aber wahr.
5. Was hätte aus Ihrem Fonds werden können, wenn er nur voll investiert wäre?
Aktive, d. h. durch einen Manager betreute Aktienfonds werben häufig damit, dass sie in Abschwung-Phasen geringere Verluste machen als der Referenzindex und somit den Anleger „beschützen“. Jedoch stimmt diese Behauptung nicht immer. Etliche aktive Fonds haben in der Finanzkrise 2008 mehr verloren als der jeweilige Referenzindex. Doch selbst wenn die Rechnung in einer Crash-Phase aufgehen sollte, darf sie nicht ohne Opportunitätskosten gemacht werden. Denn hat der Fondsmanager die Verluste dadurch abgemildert, dass er einen Teil des Fondsvermögens auf Tagesgeldkonten „geparkt“ hat, so liegt dieses Geld niedrigverzinslich herum. Und in der – unberechenbaren – nächsten Erholungsphase profitiert von den Kursgewinnen nicht (wie bei einem Indexfonds) das gesamte Fondsvermögen, sondern lediglich der nicht auf Geldmarktkonten befindliche Teil. Im Ergebnis fallen viele aktive Fonds langfristig auch deshalb hinter den Referenzindex zurück – die teilweise Anlage auf Geldmarktkonten bewirkt eben Opportunitätskosten.
Und was bedeutet das nun konkret für Sie?
- Machen Sie nie die Rechnung ohne Opportunitätskosten – bedenken Sie immer die Kosten der entgangenen Alternative.
- Die scheinbar „schöne“ Rendite mancher Anlage relativiert sich stark, wenn man sie mit der in der gleichen Phase erzielbaren Marktrendite bzw. des Vergleichsindex gegenüberstellt. Dies gilt gerade für Aufschwung-Phasen – wie z. B. die letzten acht Jahre.
- Scheinbar günstige Bauspardarlehen erwiesen sich nach Einbezug der Opportunitätsverluste in der Ansparphase seit dem zweiten Weltkrieg meist als vergleichsweise teuer. Stand 2017 sind die Opportunitätsverluste in der Ansparphase zwar geringer, aber die Darlehenszinsen liegen häufig über den Vergleichszinsen für Baudarlehen.
- Wenn Sie eine Liquiditätsreserve benötigen, dann sind Opportunitätsverluste auf Giro- oder Geldmarktkonten nicht vermeidbar. Langfristig nicht benötigtes Geld (ab einer Dauer von ca. 8 bis 10 Jahren) hat jedoch auf diesen zinsfreien bzw. zinsarmen Konten nichts verloren.
- Meiden Sie Altersvorsorgeprodukte mit Garantiecharakter. Eine Garantie auf nominellen Kapitalerhalt ist in einer Welt der Inflation ohnehin nichts wert und die Garantiekosten in Form niedrigverzinslicher Anlagen sind bei längerfristigen Ansparprozessen unangemessen hoch.
- Aktive (gemanagte) Fonds schneiden gegenüber passiven Fonds (Indexfonds, ETFs) nicht nur wegen der höheren laufenden Kosten langfristig schlechter ab. Eine weitere Ursache kann die anteilige „Cash-Quote“ des Fonds sein, welche Opportunitätskosten in Form entgangener Dividenden und Kursgewinne bedingt. Entscheiden Sie selbst…
Das waren also rein finanzielle Überlegungen – die Sie vor Geld- und Finanzentscheidungen anstellen sollten. Damit es Ihnen nicht wie der Königstochter im Märchen ergeht: „Ach, hätte ich doch genommen den König Drosselbart“.
Ich freue mich, wenn Sie den Link zu diesem Blogbeitrag weiterleiten – muss ja keine Königstochter sein.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 15. September 2017.
Hallo Herr Waltz.
Ich stimme ihnen zu 99% zu.
Es ist für mich unfassbar, dass ausgerechnet bei der Rententhematik ausgerechnet auf „sicher“ gefahren wird. Wir reden hier von einem einmaligen Zeithorizont von 30-45 Jahren! Ein Zeithorizont, den man im Leben sonst praktisch nie hat. Gerade dort muss man „voll ins Risiko“ gehen, um die relativ hohen Renditen zu erzielen. Von mir aus kann man dann in den letzten 10 Jahren Restlaufzeit langsam und teilweise vom Aktienmarkt in den Rentemarkt umschichten. Aber vorher nicht.
Die Deutschen versichern sich zu Tode und sind nicht einmal vor dem Tod sicher. Nur abgesichert _gegen_ Rendite.
Danke für diesen wirklich erhellenden Beitrag.
Eine Frage hätte ich noch: Gibt es eigentlich auch das Gegenteil von Opportunitätskosten, nämlich Opportunitätserträge?
Und wenn ja – müsste ich die dann nicht auch in meine Betrachtung einbeziehen.
Schon mal jetzt einen herzlichen Dank für die Antwort.
Sabine W.
Liebe Sabine W., Ihre Frage ist ganz schön clever und hat es in sich. Vor wenigen Jahren noch hätte ich mit einem klaren „Nein“, Opportunitätserträge können Sie beruhigt vergessen, geantwortet. Und auch heute ist das eher eine exotische Überlegung. Jedoch: In einer Welt der Negativzinsen dürfte ein wohlhabender Anleger wie folgt kalkulieren. Durch Anlage von liquiden Mitteln, für die seine Bank ihm 0,4 % „Strafzins“ in Rechnung stellt, z. B. in Aktien, ETFs oder einer Immobilie kann er Opportunitätserträge von 0,4 % erzielen. Rentiert also seine Anlage auch „nur“ mit 2 %, so ergibt sich durch den Opportunitätsertrag schon 2,4 %. Ihre Überlegung ist – Dank „Super-Mario“ – also keineswegs völlig unrealistisch. Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass bald wieder „normale“ Zeiten kommen und Opportunitätserlöse wieder „Theorie“ werden.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Dies ist ein sehr nützlicher Beitrag. Klare Aussagen, konkrete Tipps – da bleiben keine Fragen.
Danke schön – freu mich schon auf den nächsten Beitrag!
Vielen Dank – der nächste Beitrag ist auch wieder einen Besuch im Finanzblog wert 😉
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!
Ein typischer Walz-Artikel! kurze witzige Story und dann kommt richtig was zum Nachdenken… Vielen Dank, lieber Herr Walz.
Danke für die Blumen, da werde ich ja rot 😉
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!