RENTE-MINUS statt RENTE-PLUS
Brigittes üble Enttäuschung mit der DVAG
Unglaublich aber wahr! Was ist schon der Corona-Crash im Vergleich zu einem von einer Dubiosen Vertriebs AG (im Folgenden kurz: DVAG) vermittelten Vertrag… Aber lesen Sie selbst.
Eine treue Blogleserin, nennen wir sie Brigitte, hat mir im Vertrauen, jedoch mit der Erlaubnis der anonymen Veröffentlichung ihrer Echtdaten, einen sehr üblen Vertrag für die nachfolgende Analyse überlassen.
Brigitte hat früh verstanden, dass die gesetzliche Rente sicher, aber deren Höhe unsicher oder eben ganz sicher zu gering ist.
Daher hat Brigitte bereits Ende 2004 eine kleine private Rentenversicherung abgeschlossen, die ihr vom Strukturvertrieb Dubiose Vertriebs AG, besser bekannt unter dem Kürzel DVAG vermittelt wurde.
Es handelte sich um eine fondsgebundene Rentenversicherung der AachenMünchener Versicherung, die mittlerweile mit der Generali Versicherung fusioniert ist. Der Versicherungsvertrag hat den verheißungsvollen Namen RENTE-PLUS.
Dessen Abschluss hat Brigitte in der Rückschau zeitlich übrigens ideal platziert. Nämlich in der längsten und stärksten Aufwärtsphase, die die Kapitalmärkte seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben.
Die Wertentwicklung der in der Police enthaltenen Fonds müsste also „eigentlich“ großartig sein. Eigentlich.
Es kann gut sein, dass Brigitte diesen tollen Zeitpunkt nicht ganz aus eigenen Stücken entschieden hat. Sondern auch ein wenig durch die Argumentation des DVAG-Verführers getrieben wurde.
Der drohte nämlich mit dem Auslaufen des Steuerprivilegs auf Kapitalerträge bei kapitalbildenden Versicherungen Ende 2004 – typisches Sargdeckelklappern nennt man das.
Das Unheil nimmt seinen Lauf
Da Brigitte keine Reichtümer verdient, konnte sie auch nur überschaubare Beiträge in die RENTE-PLUS einzahlen. Nachstehend der Beitragsverlauf der Jahre 2004 bis 2020, Abbruch Ende März 2020:
Die Beiträge wurden von Brigitte monatlich einbezahlt und das nach Abzug der überhöhten Kosten verbleibende Kapital von der AachenMünchener in zwei (teure) aktive Fonds mit Ausgabeaufschlägen von jeweils 5% und jährlichen Gebühren von 1,40% bzw. 1,45% gesteckt.
Bei meiner Analyse habe ich auch die relevanten Dokumente zu den beiden Fonds (Wesentliche Anlegerinformationen, Fondsprospekt, Jahresbericht/Rechenschaftsbericht) gesichtet. Und ebenfalls die langfristige Kursentwicklung der beiden Fonds über den gesamten Anlagezeitraum nachverfolgt.
Mit den Details hierzu möchte ich den Beitrag nicht überfrachten. Jedoch ist unverkennbar, dass trotz hoher Kosten auf Fondsebene die Wertentwicklung der Fonds selbst durchaus erfreulich war. Das traurige Gesamtergebnis muss also durch enorm hohe Kosten auf Versicherungsebene der AachenMünchener (Kosten des Versicherungsmantels) herrühren.
Rente plus oder Rente minus?
Kürzlich studierte Brigitte etwas genauer das Wertermittlungsschreiben der AachenMünchener. Bei der Gegenüberstellung ihrer eingezahlten Beiträge mit der Entwicklung ihres Versicherungsguthabens fiel Brigitte auf, dass sie Jahr für Jahr im Minus lag.
Für die ersten fünf Jahre ließ sich das rückwirkend noch mit den Vertriebskosten erklären. Dass jedoch nach fünfzehn (!!!) Jahren ihr Versicherungsguthaben immer noch unter der Summe der eingezahlten Beiträge lag, war weder einleuchtend, noch erklärbar.
Demnach bekam Brigitte also keinen Inflationsausgleich und keinen Ertrag durch ihre Fondsbeteiligung – obwohl sie damit in der stärksten und längsten Börsenhausse seit dem Zweiten Weltkrieg investiert war.
Ein Trauerspiel!
Nachdem Brigitte bereits 2016 die Dynamik ihrer Beiträge gestoppt hatte (eine sehr kluge Entscheidung), beendete sie im März 2020 das traurige Spiel. Ganz nach dem Motto:
Brigitte widerrief diesen unseligen Vertrag. Von wegen PLUS-RENTE. Das war ein dickes MINUS-Geschäft!
Die AachenMünchener erkannte den Widerruf auch sofort an und errechnete für Brigitte einen Rückerstattungsanspruch in Höhe von 6.824,07 Euro.
(zum Vergrößern bitte Dokument anklicken)
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die von der AachenMünchener behauptete negative Fondsentwicklung von minus (!) 34,88 Euro.
Sie steht im krassen Widerspruch zu der positiven Wertentwicklung der beiden Investmentfonds.
Wie lässt sich eine negative Fondsentwicklung über einen Zeitraum von über 15 Jahren hinweg erklären, wenn die in öffentlichen Quellen nachvollziehbare Wertentwicklung der Fondsanteile im zwei- bis dreistelligen positiven Bereich war?
Und zudem durch die Fonds jährliche Dividenden ausgeschüttet wurden, die ja eigentlich Brigittes Vertrag hätten gutgeschrieben werden müssen!
Vergesst mir die Opportunitätskosten nicht
Brigitte hat nämlich – ökonomisch korrekt berechnet – nicht nur 34,88 Euro verloren. Denn ihr ist vielmehr die gesamte Wertsteigerung einer tollen Börsenkursentwicklung entgangen!
Obwohl sie durch ihr Investment die ganze Zeit das Risiko von Kursrückgängen getragen und sich somit die Risikoprämie im wahrsten Sinne des Wortes „verdient“ hat.
Eine kleine Gegenrechnung soll die Größenordnung von Brigittes Opportunitätsverlusten aufzeigen.
Hätte Brigitte exakt die gleichen Zahlungen in einen DAX- oder MDAX-ETF geleistet (beide waren 2004 schon bestens verfügbar), so hätte sie folgende Endvermögenswerte per April 2020 erzielt:
Da die beiden von der AachenMünchener verwendeten Investmentfonds gemäß der in den öffentlichen Fondsunterlagen genannten Anlagegrundsätzen nicht nur in Großunternehmen, sondern auch kleinere Unternehmen anlegen, ist als fairer Vergleichsmaßstab hier eher der MDAX als der DAX relevant.
Tja, was soll man dazu sagen:
Natürlich ist auch die alternative Anlage bei einem ETF-Sparplan nicht immer und vor allem nicht auf Dauer kostenlos. Die oben errechnete Differenz ist also um die Kosten des ETF-Sparplans zu berichtigen.
Jedoch werden Sie, liebe LeserInnen, keinen ETF finden, der seinen KundInnen auch nur ein Zehntel der oben errechneten Differenz als Kosten abverlang!
Die Kapitalmärkte funktionieren und eine langfristige Anlage in Aktien erbringt regelmäßig eine „schöne“ Rendite. Schauen Sie einfach nochmal hier nach.
Im Ergebnis sind Brigitte also tausende Euro entgangen.
Wer bekommt hier also welchen Teil vom Kuchen?
Wie Sie unschwer erkennen, greift die unselige Allianz von DVAG und AachenMünchener/GENERALI im vorliegenden Fall jedoch die gesamte Kapitalmarktrendite in Form nicht nachvollziehbarer Kosten ab.
Und hat – trotz Rückabwicklung – sogar noch das Beitragskapital von Brigitte angegriffen.
Kein Inflationsausgleich. Keine Rendite. Für Brigitte: Nichts!
Brigitte, die bis vor kurzem noch an das Gute im Menschen glaubte, hoffte zunächst auf einen Irrtum und erfragte höflich die Kalkulation bei der AachenMünchener an.
Hier sehen Sie die Antwort der AachenMünchener:
(zum Vergrößern bitte Dokument anklicken)
„Zur einer Offenlegung unserer detaillierten Berechnungen sind wir nicht verpflichtet.“ Der Versicherer weist schnöde darauf hin, dass „über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht geklärt werden kann, ob der Auszahlungsbetrag korrekt ist.“
Das ist doch mal kundenfreundlich, oder!
Und wie ist es ausgegangen?
Das letztliche Endergebnis liegt noch nicht vor. Jedoch hat Brigitte den „tollen Vorschlag“ der AachenMünchener schon mal angenommen. Und tatsächlich das BaFin um Überprüfung der Vertragsabrechnung ersucht.
Über das Ergebnis werde ich hier dann gerne berichten.
Die BaFin-Anfrage und Prüfbitte bei einer öffentlichen Anstalt ist für Brigitte natürlich öde und aufwendig. Und langwierig ist sie auch. Die BaFin hat ja erstens nicht gerade den Ruf, schnell und unbürokratisch zu arbeiten. Und sieht sich zweitens einer stark wachsenden Zahl von Beschwerden gegenüber.
Zudem steht die BaFin im bekannten Konflikt zwischen Verbraucherschutz und Systemschutz. Nicht auszumalen, was bei einigen Versicherern passieren würde, wenn eine große Anzahl an Versicherten „aufwacht“ und ihre Rechte geltend macht…
Die AachenMünchener, die jahrelang Brigittes Beiträge nahm, meint: „Zu einer Offenlegung unserer detaillierten Berechnungen sind wir nicht verpflichtet“.
Aus Verbrauchersicht ist es empörend, dass Versicherte kein Recht haben, überhaupt eine Berechnung des Verbleibs bzw. der Verwendung ihrer Beiträge zu verlangen!
Denn schließlich ist es doch Ihr Geld!
Vielmehr gilt hier wohl wieder das bekannte Bild von den Vampiren, die die Buchhaltung einer Blutbank übernehmen…
Daher ist Brigittes Vorgehen absolut richtig!
Denn neben der berechtigten Hoffnung auf eine Nachbesserung aufgrund der Einschaltung der BaFin ist die zunehmende Anzahl von Beschwerden hoffentlich auch ein Alarmsignal für ineffiziente und intransparent agierende Versicherer und deren Vermittler.
Strukki-Methoden
Zwar gilt der Volksmund: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich´s gänzlich ungeniert. Doch wirkt der immense Reputationsschaden zu Lasten der Dubiosen Vertriebs AG (DVAG) früher oder später doch geschäftsschädigend.
Beispielsweise ist die Marke AWD (Sie erinnern sich, ihr Gründer war der Herr Maschmeyer: „Die Provision ist die Vision.“) durch eine Vielzahl von Skandalen so beschädigt worden, dass sie aufgegeben wurde.
Und die verbliebenen Strukkis nun unter dem Namen „Swiss Life Select“ auf LeO-Fang gehen müssen.
Nachdem die Bestände von GENERALI aktuell bereits im Run-off sind, also kein Neugeschäft, sondern lediglich noch eine Abwicklung erfolgt, besteht aus Verbrauchersicht die Hoffnung, dass auch die DVAG als „langjähriger, exklusiver Vertriebspartner“ bald ihre Geschäftstätigkeit einstellt und keine LeOs mehr jagt.
Das wäre eine gute Nachricht für den Finanzplatz Deutschland.
Und was bedeutet das nun konkret für Sie?
- Prüfen Sie bestehende Versicherungs- und Vorsorgeverträge Und gehen Sie nicht einfach davon aus, dass bei Stillhalten über die Zeit das Ergebnis schon stimmen wird.
- Hinterfragen Sie sehr kritisch, ob Sie die jährliche Erhöhung Ihrer Beiträge (Beitragsdynamik) wirklich wollen. Bedenken Sie, dass bei jeder Dynamik wieder zusätzliche Kosten anfallen.
- Nehmen Sie das Thema Kosten und versteckte Kosten in all Ihren Anlagevehikeln ernst. Und machen Sie sich bewusst, welche enormen Auswirkungen die Kosten auf Ihre Anlage- und Versorgungsverträge haben.
- Der Blick auf die Kosten wird in einer Niedrig- und Nullzinswelt noch erheblich wichtiger werden, als er es ohnehin schon war. Sie erinnern sich: Wenn die Ebbe kommt wird deutlich, wer keine Badehose anhat. Eins ist sicher: Die Ebbe ist schon da. Und sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch lange anhalten.
- Sie müssen leider davon ausgehen, dass der Ton im Finanzdienstleistungsvertrieb schärfer wird und die Interessenkonflikte zwischen den Vehikelverkäufern (FPVs) und ihren Kunden zunehmen. Also seien Sie bitte kein LeO und kümmern Sie sich um Ihre Interessen. In diesem Finanzblog gibt es klare Tipps, wie und wo Sie anpacken können.
- Lesen Sie Kapitel D6 „Verunsicherte Versicherte“ in meinem Buch „Einfach genial entscheiden in Geld- und Finanzfragen“.
- Behalten Sie die zunehmenden Vehikelrisiken im Auge!
So, in diesem Blogbeitrag habe ich gefühlt 1.000 Ausrufezeichen wieder gelöscht. Eigentlich gehören die aber rein – so ein himmelschreiender Skandal ist das!
Bitte den Blogbeitrag teilen – gerne auch an die DVAG, AachenMünchener, GENERALI und so weiter Söldner, wenn Sie welche kennen… 😉
***
nachträglicher Aufruf
Zu diesem Beitrag über Brigittes vom DVAG-Strukki vermittelten Vertrag erreich(t)en mich teils recht emotionale Rückmeldungen. Nicht nur von den DVAG-Söldnern – klar.
(Stil und Wortwahl lassen nicht jede Veröffentlichung zu)
Auch von vielen enttäuschten Geschädigten, denen es wie Brigitte erging. Oder ähnlich.
Oder noch schlimmer.
Das Ganze scheint ja System zu haben. Schauen wir mal!
Wenn Sie auch so einen DVAG/AachenMünchener RENTE-PLUS-Vertrag haben oder hatten,
schreiben Sie mir an:
ojeDVAG@hartmutwalz.de
***
Und dann: wieder auf zu den schönen Dingen.
Herzliche Grüße
Hartmut Walz
Sei kein LeO!
Erschienen am 05. Juni 2020.
Nachträglicher Aufruf ergänzt am 11. Juni 2020.
Der Hartmut Walz Finanzblog ist unabhängig, kosten- und werbefrei. Ich erhalte für Links und Empfehlungen keinerlei Honorar, Kick-back, Beteiligung o. ä.
Lieber Herr Walz,
Ich bin in den letzten Wochen auf das Thema Strukis aufmerksam geworden dank Blogs wie Ihrem Herr Walz, Finanzpodcasts und Finanzbücher, die ich angefangen habe zu lesen und habe festgestellt: Ich bin ein lebendes Klischee: Akademiker, gutes Einkommen, kein Plan von Finanzen, hat auf einen alten Kommilitonen vertraut. (Wo bitte ist der Smile mit den rollenden Augen?!).
Leider war es da für mich auch schon zu spät, ich habe 2008 eine Fondsgebundenene private Rentenversicherung mit BU und Todesfallschutz (Standard Life, Maxxcellence Invest) abgeschlossen und bin gerade verzweifelt dabei zu versuchen herauszufinden, wie ich da am besten wieder rauskomme. Mal abgesehen davon, dass es mir trotz Magisterstudium in Germanistik tatsächlich schwer gefallen ist, mich aus dem Vertragswerk schlau zu lesen, ist es auch immer noch nicht wirklich übersichtlich, was ich wie und wann an Kosten zahle.
Blogs wie Ihrer helfen ungemein wenn es darum geht als Laie mal einen groben Überblick darüber zu bekommen, wie man sich diese ganzen Zahlen (wie gesagt: Germanistik, nicht! Mathematik) überhaupt anzusehen hat, was es bedeutet, wenn da von Risikoaufschlag die Rede ist (zu dem ich ürbigens gar keine Angaben im Vertrag finden konnte, nur eine absolute Summe, die ich pro Jahr bezahle), wie man sich das auseinanderklamüsern muss, wenn manche Kosten einmalig anfallen, andere als Prozent der monatlichen Einzahlsumme angegeben sind und wieder andere als Prozent des Fondsvolumens. Dass meine BU-Sicherheit auch an mein Fondsvolumen gebunden ist, wird nur in einem Satz als Warnung erwähnt. Nirgendwo habe ich weitergehende Erklärungen, was es bedeutet, dass der Berufsunfähigkeitsschutz so begrenzt ist, dass er endet, sobald das Fondsvermögen und damit der Rückkaufwert nicht mehr zur Finanzierung der laufenden monatlichen Kosten für den Berufsunfähigkeitsschutz und der Leistung bei Tod vor dem vereinbarten Rentenbeginndatum ausreicht. Ich verstehe jedes Wort, aber ich verstehe nicht, was das nun genau bedeuten soll?!? Ich habe diesen Vertrag geschlossen, um im Falle einer BU abgesichert zu sein, die ich aus gesundheitlichen Gründen angeblich nirgendwo einzeln hätte abschließen können, laut “Berater”. Nun liest sich das für mich LeO so, als würden die Beiträge nur so lange weitergezahlt, wie mein Fondsvermögen das hergibt? ARGHHH, auf Neudeutsch: WTF? Auch meine Tabellenkalkulationskünste sind begrenzt, also habe ich nur mal auf nem Bierdeckel zusammengerechnet was ich da bislang an Kosten verloren habe: ca 35% der eingezahlten Summe war es letztes Jahr. Ich bin stinksauer, dass sowas überhaupt weiterhin erlaubt ist.
Also bitte: Weiter so, auch wenn immer mal wieder ein Voll-Horst Kommentare abgibt. Wir Dummies brauchen dringend mehr solcher Informationen. Und falls Sie noch einen Vertrag zum Zerpflügen möchten, ich biete Ihnen meinen gerne zu wissenschaftlichen Zwecken an!
Liebe Grüße von einer LeOnine
Liebe Nene, ich kann Ihren Frust so nachvollziehen – denn in den meisten Dingen sind wir alle Laien – was für Profis wir auf dem einen oder anderen Gebiet auch sein mögen. Deshalb: nicht verzweifeln. Mach ich auch nicht, trotz Voll-Horste 😉 Hier gibts übrigens die nächste “Enthüllung”.
Herzliche Grüße, Hartmut Walz – Sei kein LeO!