GASTBEITRAG DR. GERHARD SCHICK, FINANZWENDE
Eine Finanzwende oder warum ich das Wort LeO abschaffen möchte
Große Teile der Finanzmärkte haben sich von ihrer eigentlich dienenden Funktion verabschiedet – das Wort LeO ist dafür ein Sinnbild. Warum lassen wir das eigentlich zu?
Die Wende: Im Duden definiert als einschneidende Veränderung. In Deutschland spätestens seit der Wiedervereinigung ein feststehender Begriff im politischen Jargon. Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende und jetzt auch noch Finanzwende? Brauchen wir so etwas?
Was alle „Wenden“ eint ist der Antrieb, dass eine Veränderung notwendig ist. Der Finanzmarktbereich hat dabei bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt, obwohl er im Geflecht der sozialen Marktwirtschaft eine übergeordnete Rolle spielt. Bislang ist die Wende ausgeblieben und der Finanzmarkt produziert immer noch zu viele Verlierer.
Provisionsbedingte Beratung als hausgemachter Interessenkonflikt
Das Beispiel Provisionen: Im Beratungswesen sind sie ein Anreiz für schlechte Beratung von Kundinnen und Kunden und verdeutlichen den Konflikt. Es ist einfach nahezu undenkbar, den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Finanzberatung zu stellen, wenn die Anreizstrukturen auf Abschluss, häufig unabhängig von der Rendite für den Abnehmer, angelegt sind.
Das Ergebnis ist ein Wildwuchs von über 1,2 Millionen Finanzprodukten, vertrieben von 200.000 Vermittlern. Wer wundert sich dann noch über Kategorien wie LeO und SeO?
Erst jüngst sorgte der Fall P&R für Aufsehen, wo über drei Milliarden Euro von mehr als 54.000 Privatanlegern im Feuer stehen und vermutlich verloren gehen: Eine ganze Armada von LeOs.
Die BaFin wurde spätestens seit 2017 vor dem betrügerischen Treiben der Anlage P&R gewarnt, doch genehmigte sie auch weiterhin deren Verkaufsprospekte. Mehr als 50 Prozent der betroffenen Anleger sind älter als 60 Jahre und die Pleite ist die vermutlich größte im grauen Kapitalmarkt in der Geschichte der Bundesrepublik.
Der Fehler liegt im System, wenn Regulatoren zusehen wie betrügerische Akteure ein viel zu kompliziertes Produkt über ein Heer an Vermittlern an ahnungslose Kunden vermitteln. Warum lassen wir dies überhaupt zu?
Durch die Bankenrettung wurde jeder zum LeO
Doch wer glaubt, er ist vor den Finanzmärkten sicher, wenn er nicht in riskante Produkte investiert, hat weit gefehlt.
Mindestens 68 Milliarden hat uns die Rettung der Banken im Zuge der jüngsten Finanzkrise bis heute gekostet. Problem von damals wie heute: die Systemrelevanz vieler großer Banken und Vermögensverwalter.
Die Deutsche Bank gehört immer noch zu den gefährlichsten Instituten weltweit.
Und wie wir an den Fusionsbemühungen mit der Commerzbank gesehen haben, ist sie alles andere als sicher. Sollte sie in Schieflage geraten, wird eine Abwicklung schwierig – in jedem Fall aber teuer.
Der Steuerzahler als LeO, denn nur der Staat wird die Rechnung am Ende zahlen können.
Zwei nicht gehaltene Versprechen für einen Neuanfang
Als finanzpolitischer Sprecher der Grünen war ich an der Aufarbeitung der politischen Entscheidungen im Zuge der Finanzkrise beteiligt. Zwei Versprechen wurden an die Bürgerinnen und Bürger gegeben:
- Kein Steuergeld mehr für Bankenrettung
- Keine „too big to fail“ Institute mehr
Das war das Rezept gegen den zukünftigen Kontrollverlust gegenüber der Finanzwirtschaft, ein Stück weit Wiedergutmachung für besorgte Bürgerinnen und Bürger. Doch getan hat sich wenig.
Nur öffentlicher Druck kann Veränderung erzeugen
Bereits heute ist die globale Verschuldung höher als vor Beginn der Krise von damals. Und auch in vielen europäischen Ländern sind die Nachwirkungen in Form von hoher Arbeitslosigkeit und zunehmender Perspektivlosigkeit greifbar.
Schlussendlich steht auch die Frage, ob unsere Gesellschaft einen weiteren Kontrollverlust wie damals verkraften kann.
Die Verlierer am Finanzmarkt, sie tummeln sich inzwischen nicht nur bei Finanzprodukten, sie tummeln sich am Immobilienmarkt, bei der privaten Lebensvorsorge oder wenn wir ehrlich unsere Steuern zahlen.
Die ersten Vorzeichen für eine weitere Verschärfung der Finanzkrise mehren sich bereits. Die Volatilität in den Märkten, die geopolitische Großwetterlage und die ersten Anzeichen einer drohenden Rezession.
Jedes vom Menschen gemachte System kann verbessert werden. Aber es wird nur funktionieren, wenn viele mitmachen. Gerade bei einem großen Markt wie dem Finanzmarkt mit vielen finanzkräftigen und mächtigen Institutionen, die ein Interesse am Status quo haben.
Höchste Zeit also für eine Finanz-Wende.
Erschienen am 24. Mai 2019.
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Sehr geehrter Herr Schick, danke für Ihr Engagement! Es wäre toll wenn auf der Internetseite der Finanzwende die Beiträge aktueller wären bzw. aktualisiert würden. zum Beispiel wie es mit dem Anwalt Seith weitergeht. Danke nochmals!
Hallo Chris,
Danke für das positive Feedback.
In Sachen Seith gibt es gerade nicht viel Neues. Das geht in die zweite Instanz, was wahrscheinlich gegen Ende des Jahres dann zur nächsten Gerichtsverhandlung führt. Wir werden hoffentlich bald auch Rückmeldung aus dem Präsidialamt haben.
Aktualität ist natürlich auch eine Frage von Personalstärke und Finanzkraft. Deswegen freue ich mich, wenn Sie weiteren Menschen über Finanzwende berichten.
Viele Grüße
Gerhard Schick